Fantasie und Kreativität produzieren immer noch die schönsten Werke. Manche davon entstehen im kinderzimmer. Aber wie fördert man Fantasie? Und wofür kann man die später gebrauchen?
Was erzählen Kinderbilder?
Interview: Christian Heinrich
Wenn wir Ihnen das Bild eines fünfjährigen Mädchens vorlegen, was können Sie da alles herauslesen?
Da muss ich Sie enttäuschen, das Bild allein reicht nicht, um eine fundierte Aussage treffen zu können. Ich möchte dann erst wissen, in welchen Zusammenhängen das Bild entstanden ist. Um etwas über die Bedeutung sagen zu können, brauche ich viele Informationen. Wenn zum Beispiel viele schwarze und graue Farben verwendet wurden, dann könnte das ein Zeichen von Traurigkeit sein – aber vielleicht waren gerade keine anderen Farben da, oder es ist viel Rauch auf dem Bild. Und den zeichnen viele nun mal grau oder schwarz!
Haben Kinderzeichnungen denn nicht eine Symbolik, die man deuten kann?
Natürlich geben uns Zeichnungen in der Kunsttherapie Hinweise auf mögliche symbolische Bedeutungen des dargestellten Inhalts oder zum Beispiel auch der Farbwahl oder der Art der Strichführung. Aber, und das ist entscheidend, es sind erst mal nur Hinweise, die dann überprüft werden müssen. Symbole haben nie nur ein einzige Bedeutung, man muss herausfinden, was tatsächlich für dieses Kind möglicherweise zutrifft. Wenn ein Kind etwa ein Haus oder eine Tür malt, dann kann es damit zu tun haben, dass das Kind vielleicht wenige Freunde zu Besuch hat oder Angst hat rauszugehen. Das muss dann genauer ergründet werden. Man sollte sich aber auch vor Überinterpretation hüten. So gibt es zum Beispiel Bücher, in denen steht, dass eine gezeichnete Sonne mit kurzen Strahlen für eine zu geringe Fürsorglichkeit der Mutter steht. Das ist Unsinn.
Ein Bild lässt sich nicht isoliert betrachten.
Nein, wir sehen immer den Gesamtzusammenhang, wann und wie ein Bild entstanden ist, und schauen dabei auf das individuelle Kind. Wichtig ist unter anderem auch, welche Materialien die Kinder zur Verfügung haben, wie sie sich beim Malen verhalten und was sie darüber zu erzählen haben. Dazu gehört, dass ein Vertrauensverhältnis entsteht. Um dies möglich zu machen, benötigt eine gute Kunsttherapie einige Sitzungen, nur so kann das Kind idealerweise eine echte, vertrauensvolle Beziehung zum Kunsttherapeuten aufbauen.
Was können zum Beispiel zehn Kunsttherapiesitzungen bei einem Kind bewirken?
Eine ganze Menge, es kann sogar zu tief greifenden Veränderungen kommen. Denn das Malen ist ja eine Ausdrucksform, die ohne Worte funktioniert. Weil sich Kinder beim Sprechen meistens noch nicht ganz präzise ausdrücken können, ist das Malen und Zeichnen für sie besonders bedeutsam. Wenn Kinder malen, dann erzählen sie. Deshalb dienen uns Kunsttherapeuten die Bilder von Kindern als eine Art Fenster zur Seele. Wir erfahren, was sie gerade beschäftigt und vielleicht auch aufwühlt. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend kann man dann Hilfe anbieten.
„Man kann das Monster auch in eine Grube sperren.“
Das ist der diagnostische Aspekt des Malens, die Erkenntnisse, die über Kunsttherapie gewonnen werden können. Kann man mit der Kunsttherapie die erkannten Probleme auch lösen?
Sie kann gleich auf mehrerlei Weise behandelnd wirken. Einerseits dient das Malen als eine Art Ventil, mit dessen Hilfe alles, was sich im Kind aufgestaut hat und was das Kind bedrückt, endlich zum Ausdruck gebracht werden kann. Andererseits können wir Kunsttherapeuten auch eingreifen und Alternativen aufzeigen. Wenn zum Beispiel ein Kind immer ein bestimmtes Monster malt und seine Gefühle von Bedrohung zeigt, dann können wir aufzeigen, wie man es vielleicht weniger gefährlich malen kann oder dass man es in eine Grube verbannen kann. Kunsttherapie kann vor allem bei Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten helfen, besonders bei großer Aggressivität, bei Angst vor Gruppen oder bei ausgeprägter Schüchternheit.
Was ist mit unauffälligen, gesunden Kindern? Kann Kunsttherapie auch bei ihnen die Entwicklung fördern und unterstützen?
Kunst ist in vielerlei Hinsicht entwicklungsfördernd, dazu braucht es nicht unbedingt eine therapeutische Begleitung. Mit Kunst meine ich natürlich nicht nur das Malen mit Stiften. Auch Wasserfarben, Knete und Ton gehören dazu, im Grunde alles, womit man etwas mit den Händen schafft. Dieser Schaffensprozess fördert die Grob und Feinmotorik, er steigert die Kreativität, und er gibt den Kindern nicht zuletzt die Möglichkeit, sich auszudrücken.
Was können Eltern tun, um das zu unterstützen?
Das ist eigentlich nicht schwer. Einmal sollten sie dafür sorgen, dass ihr Kind möglichst oft und entspannt Zugang hat zu Stiften und der Möglichkeit, sich künstlerisch und durch Basteln auszudrücken. Und wenn ein Kind malt, sollten Eltern nicht korrigierend eingreifen. Das entmutigt. Die Entwicklung der Kinderzeichnungen folgt eigenen Gesetzen. Deshalb sollten Eltern die Bilder ernst nehmen und wertschätzen. Ihr Kind sollte das Gefühl bekommen, die Eltern stolz gemacht und etwas Tolles vollbracht zu haben, selbst wenn es anfangs nur Gekritzel ist.
Auch wenn Eltern keine ausgebildeten Kunsttherapeuten sind – können Sie vielleicht doch ein paar Tipps geben, was sie aus den Bildern ihrer Kinder lernen können?
Der erste Eindruck ist oft richtig. Es geht um intuitives Wahrnehmen: Hören Sie als Eltern auf Ihr Gefühl, auf das, was Ihnen spontan in den Sinn kommt, wenn Sie das Bild Ihres Kindes anschauen. Und berücksichtigen Sie dabei immer den Entwicklungsstand: Wenn das gemalte Haus wacklig erscheint, kann es eben auch daran liegen, dass das Kind gerade einmal so weit ist, einigermaßen die Umrisse zeichnen zu können. Wenn den Eltern etwas auffällt, was ihnen zu denken gibt, hat es Sinn, das mit den Erzieherinnen in der Kita zu besprechen und gegebenenfalls eine Kunsttherapeutin oder einen Kunsttherapeuten aufzusuchen.
Professorin Dr.Karin Dannecker ist Leiterin des Weiterbildungsstudiengangs Kunsttherapie an der Kunsthochschule BerlinWeißensee. Außerdem ist sie approbierte Kinder und Jugendpsychotherapeutin.