Was passiert im Pipi-Kacka-Land? - Kita kinderzimmer Hamburg

Was passiert im Pipi-Kacka-Land?

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Text: Vivian Alterauge

Hose aus, Po wischen, neue Windel – das geht im Idealfall knapp drei Jahre so. Um die 6.000 Windeln in bis zu sechs unterschiedlichen Größen (von Farben und Formen ganz zu schweigen) werden vollgepullert und -gestinkert und wandern danach in den Müll. 6.000-mal Baby auf eine Wickelkommode legen, oder auf eine Bank, oder den Autorücksitz 6.000-mal „Was haben wir denn da?“, „Puuuuuuh“, „Halt doch mal still“, „Ist ja gleich vorbei“. 6.000 Chancen, Unsinn zu veranstalten: die Fersen in die vollgemachte Windel stellen, sich blitzschnell nach links und rechts drehen, Mama oder Papa anpinkeln, sich selbst anpinkeln, unbemerkt die Cremes aufschrauben und mit dem Finger drin rumpanschen, juchzen, die Nackigkeit genießen, schmusen, zusammen lachen, plärren, aufstehen wollen, liegen bleiben müssen.

Beim Wickeln geht es selbstverständlich nicht nur um Hygiene. Es geht um Geborgenheit, um emotionale Sicherheit, letztlich also um Beziehung. Beim Gewickeltwerden – und natürlich auch bei den damit verbundenen Sauberkeitsritualen wie Waschen und Baden – lernt ein Kind, dass seine körperlichen Bedürfnisse beachtet und befriedigt werden. Die ungeteilte Aufmerksamkeit und körperliche Zuwendung auf der Wickelunterlage genießen Babys wie Kleinkinder. Egal ob zu Hause unter der Wärmelampe und dem Lieblingsmobile oder im Kindergarten: Wickeln sollte möglichst in Ruhe und ohne Stress stattfinden. Vor allem nicht unter allgemeiner Beobachtung, irgendwo in der Öffentlichkeit, wo jeder gucken kann. Denn auch Kinder haben eine Privatsphäre und wollen nicht jeden daran teilhaben lassen. Und je älter sie werden, desto expliziter können sie auch den Wunsch äußern, von wem sie gern gewickelt werden wollen. Zu Hause mal lieber von Papa als von Mama und im Kindergarten vielleicht von dem Erzieher, der immer so lustig Fürze nachmacht, wenn es aus der Windel mieft, oder von der Pädagogin, auf deren Schoß es sowieso am gemütlichsten ist. Wer den ganzen Tag mit den Kindern verbringt, wer mit ihnen singt, spielt, spaßt, kuschelt und sie tröstet, der wickelt auch. So einfach ist das.

Mit etwa zwei Jahren machen Kinder einen großen Entwicklungsschritt Richtung Selbstständigkeit. Ihre neu gewonnenen motorischen Kompetenzen erlauben ihnen nicht nur zu rennen, zu boxen und unterschiedlich ihren Unmut mit Gebrüll und Geschrei zu untermalen, sie lernen auch, Nein zu sagen. Die erste große Trotzphase beginnt. Den Mut und das Selbstbewusstsein dazu ziehen sie auch aus der Erkenntnis, ihre Ausscheidungsfunktionen selbst kontrollieren zu können. Pipi loslassen und halten bedeutet: Ich kann das alleine!
Nach Sigmund Freud wird dieses zweite Stadium der psychosexuellen Entwicklung im Alter von etwa zwei bis drei Jahren die „anale Phase“ genannt. Es macht Lust, einen dicken Haufen in die Windel zu knattern. Die Mimik eines Kindes, das sich erleichtert, spricht Bände: Der Kopf wird rot vor Anstrengung, bis das Geschäft erledigt ist, dann entspannen sich die Züge, und der Stinker guckt triumphierend, froh und absolut erleichtert.Wer dieses Vergnügen dann auch noch willentlich selbst steuern kann, der ist natürlich fein raus.

Das Wickeln und die darauffolgende Erziehung zur Reinlichkeit sind also an das wachsende Bedürfnis, sich abzugrenzen, sich durchzusetzen und auszudrücken, gekoppelt. Hergeben und Zurückhalten, Geben und Nehmen. Ein kleines Kind „schenkt“ der Welt einen Haufen, und Mama schmeißt die volle Windel einfach weg.

Für Freud sind das die ersten frühkindlichen Frustrationen. Wie diese Frustrationen ausfallen, entscheidet auch, wie wir durchs spätere Leben spazieren. Dass die Windel wegmuss, ist klar. Aber wie sie entsorgt wird, macht den Unterschied aus. Wer „Pipi-Kacka-Land“ negativ belegt, etwa indem er jede volle Windel mit angewidertem Gesicht begleitet oder schimpft, wenn das Kind schon wieder nicht ordnungsgemäß ins Töpfchen gepieselt hat, der erzieht weniger zur Reinlichkeit, als dass er Gefühle wie Scham und Ekel vor dem eigenen Körper provoziert.

Die neu gewonnene Selbstständigkeit gilt es, humorvoll und geduldig zu unterstützen. Der Rest kommt im wahrsten Sinne des Wortes von selbst. Zu Beginn hilft es, feste Klozeiten einzuführen: nach dem Essen, vor und nach dem Schlafen zum Beispiel. Wenn dann doch mal was in die Hose geht, wird dem Kind eben etwas Neues angezogen und das Malheur nicht weiter thematisiert. Die Kleinen lernen ja gerade etwas ganz Großes,wer schimpft oder sich über die Kinder lustig macht, nimmt ihnen die Motivation.


Wichtig ist es auch, mit dem Spracherwerb ebenso Worte für das zu finden, was passiert und wie und wo. Genauso wie die anderen Körperteile sollten Kinder ihre Schamregion benennen können und wissen, welche Funktion sie erfüllt. Penis und Scheide sind keine lautmalerischen Worte, aber wichtige Begriffe, auch für Kinder. Denn nur, wenn sie ihre Geschlechtsteile benennen können, können sie sich auch mitteilen. Und nur wer sich den Inhalt von Windel oder Töpfchen mal genau ansieht, weiß auch, warum man das nicht aufheben kann. Trotzdem sollten Kinder nie das Gefühl bekommen, ihre Fäkalien seien etwas Widerwärtiges. Denn „müssen“ müssen schließlich alle.

Apropos Stinker: Eine Studie hat herausgefunden, dass Eltern den Stuhl der eigenen Kinder weniger schlimm finden als den anderer Kinder. Vermutlich hat die Evolution es geschafft, den Ekel, der einen normalerweise vor Infektionen schützen soll, auszublenden, damit man für die Reinlichkeit des Kindes sorgen kann.

Von der ersten vollen Windel, über die sich junge Eltern noch begeistert freuen, bis zum Triumphgeheul über die erste selbstständige Verrichtung auf dem Töpfchen: Der Weg, bis Kinder „trocken“ sind, ist weit. Und jedes Kind braucht unterschiedlich lang mit unterschiedlich viel Malheur oder Erfolg. Am Ende warten Selbstständigkeit und eine neue Freiheit. Die letzte Windel kriegt dann der Teddy.

Unsere Autorin ist seit einem guten Jahr Mutter und wickelt immer noch leidenschaftlich. Wenn sie gerade nicht ihrer Tochter hinterherrennt oder sie mit dem Fahrrad durch Hamburg kutschiert (das ist auch Sport!), interviewt sie Schauspieler und Musiker oder erzählt Geschichten, die nur das Leben schreiben kann.