Doktor Hase, kannst Du helfen? - Kita kinderzimmer Hamburg

Doktor Hase, kannst Du helfen?

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Text: Christian Heinrich

Wenn man einen Hund beobachtet, muss man einfach breit grinsen. Wie er schaut und schnüffelt, offen und neugierig auf einen zukommt. Oder ein Pferd! Ständig ist es aufmerksam, scheint Dinge lange vor uns zu bemerken – und es schnaubt so beruhigend. Und eine Katze! Wenn sie sich einem ums Bein schmiegt, ist man sofort emotional schachmatt. Keine Frage: Tiere machen glücklich. Weil sie so anders sind – und doch so einfach. Oder, wie es der Schweizer Autor Stefan Wittlin sagt: „Ich liebe Tiere. Weil sie so ‚unmenschlich‘ sind.“ Trotzdem – oder gerade deshalb – sind viele von ihnen die besten Therapeuten für Kinder.

Die sogenannte tiergestützte Therapie gehört wie die Heilpraktik zu den alternativmedizinischen Verfahren – und vertraut auf die ausgleichende, positive Wirkung, die von einem oft eigens dafür ausgebildeten Tier ausgeht. Forscher können die positive Wirkung von Tiertherapie in zahllosen Studien bestätigen.

So kann schon die fünfzehnminütige Anwesenheit eines Hundes im Gehirn des Menschen einen wahren chemischen Glücks- und Entspannungscocktail freisetzen. Untersuchungen zufolge ist die Konzentration der Wohlfühlstoffe Oxytocin, Dopamin, Endorphin, Prolaktin und Beta-Phenylethylamin signifikant erhöht. Hinzu kommt, dass das Streicheln von Tieren durch die positiven Reize auf unserer Haut das Ausschütten von Hormonen stimuliert, die unser Immunsystem stärken und uns schmerzunempfindlicher machen.

Die Berührungen sind zum Beispiel für traumatisierte Kinder besonders wichtig, da sie oft für sie mit negativen Assoziationen besetzt sind – die Tiere können dabei helfen, das ein Stück weit zu entkoppeln. Noch umfangreicher sind die Effekte auf psychischer Ebene: Kontakt mit Tieren führt nachweislich zu einer Steigerung des emotionalen Wohlbefindens, fördert das Selbstwertgefühl, die Selbstsicherheit und die Selbstkontrolle, reduziert Stress und bewirkt Beruhigung und Entspannung. Wesentlich sind auch die Auswirkungen auf das soziale Verhalten: Gerade nach negativen Bindungserfahrungen und Beziehungsstörungen kann ein Therapietier oft leichter eine positive Grundlage für neue, positive Bindungen schaffen, als es ein direktes zwischenmenschliches Angebot zu leisten vermag.

„Tiere werten nicht, sie sind nicht berechnend.“

Die Tiertherapie hat auf fast alle Kinder eine positive Wirkung. So zeigen Studien, dass sich Kinder grundsätzlich nach Tierkontakt besser konzentrieren können und ausgeglichener sind. Bemerkenswert dabei ist, dass die Tiere offenbar auf beide Extrempole ausgleichend wirken: Extrem schüchterne Kinder kommen eher aus sich heraus, extrem aufgedrehte oder aggressive Kinder werden ruhiger. Nicht zuletzt deshalb kann die Tiertherapie bei „schwierigen“ Kindern einiges bewirken, etwa bei Aufmerksamkeitsdefizit- oder Konzentrationsstörungen, bei extremer Introvertiertheit oder einem übersteigerten Geltungsbedürfnis. Bei geflüchteten Kindern kommt begünstigend hinzu, dass man die Sprache, die im für sie fremden Deutschland vor allem als Barriere wirkt, nicht braucht. Die Kommunikation mit Tieren ist nonverbal und dank des verlässlichen und präzisen Feedbacks der Tiere recht schnell zu erlernen.

So viel zur Theorie. Wir wollten genauer wissen, wie das so vonstattengeht, wenn sich kleine Kinder und größere Tiere begegnen. Und haben Manuela Maurer begleitet: Die Sozialpädagogin ermöglicht Begegnungen zwischen Kind und Pferd. Wir haben mit sechs Kindern zwischen vier und sieben Jahren einen Reiterhof besucht. „Sie können es kaum erwarten, ihr Pferd wiederzusehen. Beim ersten Mal war das noch ganz anders, da waren alle noch zögerlich“, erzählt Manuela Maurer. Der vierjährige Ahmed (Name geändert) aus Syrien zum Beispiel traute sich anfangs nicht, das Tier zu berühren. Jetzt, beim dritten Mal, gibt er der Stute Holly zur Begrüßung einen Kuss. Das Schnauben des großen Pferds macht ihm keine Angst mehr, er weiß nun, dass sich das Tier einfach nur freut, ihn zu sehen. Solche ersten Erfolge stellten sich schnell ein.

Chancenreiter, so heißt die Initiative, die Manuela Maurer 2017 ins Leben gerufen hat: Kinder aus Flüchtlingsfamilien werden einmal in der Woche abgeholt, um für ein paar Stunden in eine andere Welt einzutauchen. Beim ersten und zweiten Treffen seien die Kinder, so Maurer, nicht nur in Bezug auf die Pferde, sondern insgesamt unsicher gewesen. So gab es untereinander noch Probleme, teilweise hatte das kulturelle Gründe. Zum Beispiel hat sich anfangs kein Junge ins Auto setzen wollen, wenn dort schon ein Mädchen saß. „Inzwischen ist das selbstverständlich“, sagt Maurer. Der wöchentliche Ausflug ist für die Kinder mittlerweile ein großes Highlight. „Es ist immer noch weniger, als sie brauchen, aber viel mehr, als sie sonst hätten“, sagt Manuela Maurer.

Im Sommer fuhren sie zum ersten Mal zu einem Reiterhof. Aber was können zwei Stunden alle zwei Wochen mit einem Tier schon bewirken bei Kindern, die traumatisiert sind, die Gewalt mitansehen und womöglich selbst erfahren haben und bei der Flucht vielleicht nur knapp dem Ertrinken entronnen sind? Extrem viel. „Tiere sind unvoreingenommen, sie werten nicht, sie sind nicht berechnend. Das wissen die Kinder, entsprechend können sich selbst Hochtraumatisierte auf sie einlassen“, sagt Maurer. „Außerdem vermitteln Tiere die Gefühle, die auch Kinder so dringend benötigen, aber nicht immer erleben: gebraucht zu werden, Verantwortung zu tragen.“ Und das sieht und spürt man: Die Kinder wirken völlig selbstvergessen und selig, wie sie da gerade mit den Pferden umgehen. Vor allem Ahmed ist quietschvergnügt, als hätte er schon lange Pferdefreunde gehabt. Es stimmt, Tiere finden über kurz oder lang fast immer einen Zugang zu einem Kind. Und umgekehrt. Und sie machen vieles leichter.