Kinder fragen. Und für eine gewisse Zeit hören sie damit auch nicht auf. Einige der schönsten Kinderfragen haben wir hier gesammelt.
Haben Geschichten Zauberkraft?
Text: Sabine Cole | Foto: Steven Errico
„Als ich ein kleiner Junge war“. So heißt ein Buch von Erich Kästner, in dem er erzählt, wie schwierig (oft) und schön (manchmal) es war, als er ein kleiner Junge war. Ich habe das Buch als Hörspiel gehört, als ich ein kleines Mädchen war. Ich kann die Platte bis heute mitsprechen (und dass ich ein kleines Mädchen war, ist verdammt lange her). Im Vorwort zu „Pünktchen und Anton“ schreibt Kästner, dass Erwachsene immer behaupten, die Kindheit sei die glücklichste Zeit. Und dass das eine Lüge sei, denn es gebe auch Kinder, die nicht immer glücklich sind. Und Kindertränen seien bitte auch ernst zu nehmen. Ich habe Dir das hoch angerechnet, Erich Kästner. Denn ich war ein ernstes Kind. Mit Brille. Und geschiedenen Eltern. Wie in „Das doppelte Lottchen“. Ich habe mir zwar nicht gewünscht, dass meine Eltern wieder zusammenkommen, aber es tat gut zu wissen, dass andere Kinder auch Probleme haben. In „Das fliegende Klassenzimmer“ gibt es einen Jungen, der ängstlich ist, einen, der kein Geld hat, und Kloppereien gibt es auch. Erich Kästner, ich kenne alle Deine Bücher.
„Knix Knax Knuberlax, faxibrax, keilifax …“
In „Hannes Strohkopp“ von Janosch, auch so eine Platte, die sich in mein Kinderhirn gebrannt hat, da ist Hannes so verzweifelt, dass er sich ein Wunder wünscht. Von seinem Onkel in Amerika. Dieser schickt ihm ein Zauberpulver, mit dem er sich einen Indianer herbeizaubern kann, der für andere unsichtbar ist. Und der ihn beschützt. Ibi Upu heißt der Indianer, und ich kann das Zauberwort immer noch: „Knix Knax Knuberlax, faxibrax, keilifax …“ Na, lassen wir das. Sie werden mir schon glauben. Der unsichtbare Indianer bestärkt Hannes. Und der kann plötzlich alles, weil er sich sicher fühlt. Er bekommt sogar ein Lob von seiner Lehrerin. In „Lari Fari Mogelzahn“ gibt es einen Affen, der ständig Lügengeschichten erzählt. Ich habe als Kind auch gelogen, dass sich die Balken gebogen haben. Meine Eltern, besonders mein Vater, haben mich sehr dafür geschimpft. Der ehrliche Löwe Hans will Lari Fari Mogelzahn beim Lügen ertappen und ihn dann auffressen. Er schafft es aber nie, weil er nicht der Hellste ist. Janosch, ich kenne alle Deine Bücher.
In „Madita“, „Pippi Langstrumpf“, „Ronja Räubertochter“, in Bullerbü und in der Krachmacherstraße gibt es wilde, tapfere Mädchen mit Sommersprossen und strubbeligen Haaren. Beides traf auch auf mich zu. Madita ist sieben, sie traut sich was zu und springt sogar vom Kuhstalldach. Sie kämpft für ihre Freundinnen, sie hat Jungs als Freunde, Madita ist mein Mädchen-Idol gewesen. Ich mochte auch Pippi Langstrumpf. Aber Madita war mir näher. Astrid Lindgren, ich habe all Deine Bücher gelesen.
In „Die unendliche Geschichte“ wird Bastian von anderen Kindern schikaniert. Heute würde man sagen, gemobbt. Er flüchtet nach Phantásien und rettet die Kindliche Kaiserin und das ganze Reich. Ich habe auch „Momo“, „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ verschlungen. Und als Hörspiel rauf und runter gehört. Auch hier sind die Schwachen, die Einsamen, die Verlorenen, die Findelkinder die Helden. Michael Ende, ich habe all Deine Bücher gelesen.
Jetzt kann man sagen, na klar, das war früher. Heute, da haben die Kinder was anderes zu tun. Und lieben Geschichten mit Helden, die zaubern können, und witzige Bücher über Kids, die sich in Jugendsprache unterhalten. Man kann froh sein, wenn die überhaupt in ein Buch gucken. Dann wollen wir sie bloß nicht mit solchen Geschichten erschrecken! Mein Sohn ist Sportler. Durch und durch. Er daddelt stundenlang „FIFA“ und „Wrestling“ auf der Playstation. Er guckt im Kino freiwillig nur Marvel-Filme mit Superhelden. Er will nachts für NBA-Spiele aufbleiben. Aber fragen Sie ihn nach seinen Lieblingsbüchern. Aktuell ist es „Wunder“ und ein weiteres, dessen Titel ich hier nicht preisgeben darf (er würde es als Verrat empfinden, weil es einen Blick in seine Seele zulässt). Als er ein kleinerer Junge war, liebte er zum Beispiel „Das war der Hirbel“ von Peter Härtling. Und das ist die Geschichte:
Der Hirbel ist anders als andere, denn bei seiner Geburt ist etwas falsch gemacht worden. Er ist krank, hat oft Kopfschmerzen und auch Bauchweh von den Tabletten, die er dauernd nehmen muss. Der Hirbel hat oft eine schreckliche Wut. Und er kann Haken schlagen wie ein Hase, wenn man ihn einfangen will. Als er einmal wegläuft aus dem Heim, schläft er zwischen Schafen, aber er denkt, dass es lauter Löwen sind, die ihn nachts wärmen. Immer wieder läuft der Hirbel fort, weil ihn niemand richtig versteht und weil er in ein anderes Land möchte. Dorthin, wo die Sonne gemacht wird auf den Bäumen. Wir haben dieses Buch mehrmals zusammen gelesen. Auch mit anderen Kindern. Und alle verstehen und mögen, worum es in diesem Buch geht. Nämlich darum, so sein zu dürfen, wie man ist. Man muss keine Angst davor haben, wenn Kinderbücher echte, richtige Geschichten erzählen. Denn Kinder sind schlaue Leute. Sie wissen, dass die Welt nicht nur aus Einhörnern und Puzzles besteht. Bücher sind nämlich auch dann Freunde, wenn es etwas schwieriger wird im Leben. Und das
fängt früh an.
Die Autorin empfiehlt außerdem „Kein Kuss für Mutter“ von Tomi Ungerer und überhaupt seine Bücher. Natürlich „Wo die wilden Kerle wohnen“ von Maurice Sendak und von Janosch noch „Komm nach Iglau, Krokodil“.