Kinder fragen. Und für eine gewisse Zeit hören sie damit auch nicht auf. Einige der schönsten Kinderfragen haben wir hier gesammelt.
Mimik und Gestik – Sprichst Du auch Körpersprache?
Text: Christian Heinrich | Fotos: Benne Ochs
Wer hat das Spielzeug von Jonas weggenommen? Die Erzieherin braucht gar keine Antwort abzuwarten, ein Blick in die Runde reicht. Die Schultern der dreijährigen Isabel hängen herunter, den Kopf hat sie leicht eingezogen. Da versteckt sie das Gesicht hinter ihren Händen – sie wünscht sich, nicht an der Situation beteiligt zu sein.
„Man kann nicht nicht kommunizieren“, hat der berühmte Psychologe Paul Watzlawick einmal geschrieben. Im Fall von Isabel bedeutet das: Selbst wenn sie nichts sagt, sagt sie etwas. Sie gibt unfreiwillig zu, dass sie das Spielzeug genommen hat, durch Gesten, durch die Körperhaltung, durch ihren Blick. Diese Art von Kommunikation wird auch nonverbal genannt. Sie umfasst alles, was nicht mit dem gesprochenen Wort zu tun hat: Mimik, Gestik, Berührungen, Körperhaltung und Bewegung, Blickkontakt. Psychologen gehen davon aus, dass über die Hälfte der Kommunikation so abläuft, über Körpersprache, Mimik und Gestik.
Wir vermitteln durch diese nonverbale Kommunikation also mehr als über die Worte, die wir sagen. Das gilt gleichermaßen für Erwachsene wie für Kinder. Bei Kindern, die der Sprache noch nicht in allen Nuancen mächtig sind, nimmt die nonverbale Kommunikation eine besondere Rolle ein. Denn so haben sie eine weitere Möglichkeit, sich auszudrücken und von ihrem Innern etwas preiszugeben. Dabei geht es – übrigens auch beim Erwachsenen – zum Beispiel darum, eigene Einstellungen zu vermitteln. Wenn Sie etwa erzählen, dass Sie heute zu Oma und Opa gehen, und Ihr Kind zieht die Schuhe an, dann kann das zeigen, dass Oma und Opa hoch im Kurs stehen. Sogar Persönlichkeitseigenschaften können nonverbal übermittelt werden, etwa wenn ein Junge sich wegdreht, weil er schüchtern ist.
In Deutschland allerdings haben insbesondere Gesten kulturell nicht immer ein gutes Image. Auf eine Person zeigt man nicht, und wer viel gestikuliert, kann sich nicht richtig ausdrücken, ist nervös und fahrig. Aber man tut den Gesten Unrecht. Wissenschaftliche Untersuchungen konnten zum Beispiel zeigen, dass intelligente Kinder im Kindergartenalter überdurchschnittlich viel beim Sprechen gestikulieren.
Kinder benutzen Gestik, um sprechen zu lernen.
Offenbar greifen Kinder darauf zurück, dass Gesten auch als Lernhelfer dienen können. Diese Erfahrung machen Kinder schon in jungen Jahren, während des Spracherwerbs. So kombinieren Kleinkinder Wort und Geste, bevor sie sogenannte Zweiwortsätze bilden. Zum Beispiel sagen sie „Mama“ und zeigen auf einen leeren Stuhl, auf dem die Mama beim Essen gewöhnlich sitzt, bevor sie sagen „Mama Stuhl“. Die Zeigegeste dient dem Kind dazu, eine Antwort von den Eltern zu bekommen: „Ja, auf diesem Stuhl sitzt Mama normalerweise.“
Zusätzlich könnte das Zeigen auch eine direkte Hilfe für das Wörterlernen sein: Indem ein Kind auf etwas deutet, wird womöglich im Kleinkindalter der Benennungsprozess in Gang gesetzt, vermuten Sprachwissenschaftler. So gilt die Zeigegeste auch als Startschuss für das Sprechen. Denn ein Kind, das auf etwas deutet, hat zwei wesentliche Dinge verstanden: dass man mit seinem Verhalten Wahrnehmung, Denken und Handeln anderer beeinflussen kann. Und dass dies nur funktioniert, wenn der andere aufmerksam ist. Die Grundlagen der Kommunikation.
Entsprechend fungieren Gesten natürlich auch als zweite Sprache, deshalb spricht man von Körpersprache. Was wir wissen, aber nicht mit Worten ausdrücken können, beschreiben wir mit Gesten. Vieles davon läuft unbewusst ab wie im Falle von Isabel, die Signale der Körpersprache werden daher oft als „wahrer“ und „echter“ angesehen. Dabei dient die nonverbale Kommunikation gleich in mehrerlei Hinsicht als Ausdrucksform für Kinder und auch Erwachsene. Einerseits kann man soziale Situationen steuern – wenn man sich zum Beispiel aus einem Gespräch verabschieden möchte, wendet man sich zum Gehen. Aber die nonverbale Kommunikation dient auch zur Selbstdarstellung: Man zeigt, wie man sich fühlt, etwa durch Lächeln, Nicken oder indem man den Kopf in die Seite legt. Man kommuniziert immer und in jedem Moment durch die Körpersprache.
Kinder lernen viel per Nachahmung. Zeigen auch Sie als Eltern Ihrem Kind die Möglichkeiten der nonverbalen Kommunikation. Meistens macht man das als Mutter oder Vater beim Baby intuitiv: Man sagt Nein und schüttelt dabei ausgiebig den Kopf, man erzählt von einem großen Spielplatz und breitet dabei die Arme aus und so weiter. Behalten Sie das ruhig bei, wenn Ihr Kind älter wird.
In anderen Kulturen haben uns vertraute Gesten übrigens manchmal eine ganz andere Bedeutung. Da ist zum Beispiel der nach oben gereckte Daumen: In Mitteleuropa wird er als Zeichen des Triumphs oder der Zustimmung genutzt. In vielen arabischen Ländern, in Russland und in Teilen Afrikas hingegen wird diese Geste als obszöne Beleidigung aufgefasst. Zu Missverständnissen kann es eben auch in der nonverbalen Kommunikation kommen.
Das kizi-Interview – ganz ohne Worte …
Brandon Richter ist 24 Jahre alt und Pädagoge im kinderzimmer Dorotheenstraße. Geboren wurde er in Alaska, seit dreieinhalb Jahren lebt er in Hamburg. Als Native Speaker ist er seit März englischsprachiger Betreuer in der „Elephant“-Gruppe. Wir wollten von Brandon ein paar Antworten zu seinem Kita-Alltag. Aber natürlich passend zum Thema: ohne zu reden!
Unser Autor ist entzückt und beeindruckt, mit welcher Inbrunst seine vierjährigen Zwillinge Körpersprache nutzen. Wenn sie etwas nicht wissen, ziehen sie die Schultern derart hoch, dass sie fast neben den Ohren stehen, und machen dazu eine ausladende Handbewegung. Er hat sich das längst auch angewöhnt.
Zu dem Bilder-Interview mit Brandon hat uns die Rubrik „Sagen Sie jetzt nichts“ aus dem „Süddeutsche Zeitung Magazin“ inspiriert.