Wir finden: Zahlen sind spannend. Denn hinter (fast) jeder verbirgt sich eine Geschichte. Zeit, sie zu erzählen.
Wie denken Kinder?
Ist die Milch weiß, weil die Kühe weiße Flecken haben?
„Die Erzieherin wohnt in der Kita, und wenn ich nicht aufräumen will, sage ich, dass ich Bauchschmerzen habe.“ Wie Kinder sich mittels Logik die Welt erschließen und wie man ihnen dabei helfen kann, erklären zwei kinderzimmer-Expertinnen im Gespräch: die pädagogische Leitung Christina Baal und die Erzieherin Danny Parra.
Interview: Christian Heinrich | Fotos: Sonja Tobias
Sie haben beide täglich mit Kitakindern zu tun – wann haben die Sie das letzte Mal durch logisches Denken beeindruckt?
Danny Parra: Das geschieht eigentlich andauernd, viele Male am Tag. Logisches Denken bedeutet ja unter anderem, dass man zwei Dinge miteinander verknüpft, das tun Kinder ständig, um sich die Welt zu erschließen. Manchmal kommen lustige Dinge dabei heraus. Vorhin erst musste ich zwei neuen Zweijährigen in meiner Gruppe erklären, dass ich nicht in der Kita wohne.
Wie kamen die Kleinen darauf?
Parra: Weil ich fast immer in der Kita bin, wenn sie kommen, und weil ich ja auch noch da bin, wenn sie wieder abgeholt werden. Da dachten sie, dass hier mein Zuhause ist. Das haben sie mir auch so erklärt, einschließlich Begründung. Bemerkenswert. In diesem Fall ist die Verknüpfung zwar eine falsche, aber das macht gar nichts. Am Anfang ist es eben so, dass die Kinder sehr ichbezogen sind, sie lernen erst allmählich, dass dort, wo sie gerade nicht sind und nicht beobachten können, die Welt auch weiterläuft.
Deshalb halten sich Kleinkinder auch die Augen zu, wenn sie erschreckt sind oder Angst haben.
Parra: Ja, sie denken, dann verschwinden sie. Wie schnell sie sich von hier aus weiterentwickeln, beobachte ich immer wieder in der Kita. Manchmal nehme ich einen Schnuller in die Hand und lege die Hände hinter den Rücken, dabei lasse ich den Schnuller unbemerkt in die Kapuze meines Kapuzenpullovers fallen. Kleine Kinder wollen meine Hände sehen, und wenn die leer sind, geben sie sich gezwungenermaßen damit zufrieden, sie glauben, der Schnuller ist weg. Aber schon etwas ältere Kinder beginnen zu suchen und zu überlegen, wo der Schnuller sein könnte. Dabei gehen sie ganz systematisch vor.
Christina Baal: Was bei den kleinsten Kindern hier zu beobachten ist, das ist eine frühe Stufe der Denkentwicklung. Sie nehmen Reize über ihre Sinnesorgane auf: Sie sehen, der Schnuller ist da, also ist er auch da. Sie sehen, der Schnuller ist nicht da, also muss er verschwunden sein. Eine Verknüpfung können sie noch nicht herstellen. Selbst wenn sie bald verstehen, dass der Schnuller nicht verschwunden ist, bleibt die Konzentration auf die Sinne noch etwas erhalten. Deshalb lernen Kleinkinder besonders gut, wenn sie etwas selbst wahrnehmen können. Wenn zum Beispiel Mama wieder schwanger ist, reicht es nicht zu erklären, dass da ein Baby im Bauch und Mama deshalb dick ist. Viel einprägsamer ist es, wenn sich das Kind ein Kissen unter das T-Shirt steckt und sieht und erlebt, dass man dann auch dicker aussieht.
Parra: Wenn sie etwas älter sind, lernen sie auch durch das alleinige, aufmerksame Beobachten. Zum Beispiel haben meine Kollegin und ich ein sehr unterschiedliches Temperaturempfinden. Sie macht das Fenster zu, und ich kippe es nach einer halben Stunde wieder, dann macht sie es wieder zu und so weiter. Die Kinder haben das an einem Tag aufmerksam beobachtet und wollten wissen, warum ich das Fenster immer wieder kippe. Da habe ich ihnen erklärt, dass mir warm ist, und ich deshalb das Fenster kippe. Seitdem rufen alle, wenn ich das Fenster kippe: „Danny ist warm!“ Und seit Kurzem sagt der eine oder andere: Mir ist warm, können wir das Fenster kippen?
Nachdem die Kinder die Sache mit dem Fenster und der Temperatur verstanden haben, versuchen sie nun, ihr Wissen anzuwenden.
Baal: Kinder wollen ergründen, was welches Verhalten und welche Tat bewirkt. Dabei gehen sie logisch vor: Wenn das mit dem Warm-und-Fenster-auf bei Danny funktioniert, vielleicht funktioniert es dann auch bei mir? Mein Neffe hatte einmal während eines Spaziergangs Bauchschmerzen, da hat sein Papa ihn auf die Schultern genommen. Jetzt sagt er in den verschiedensten Situationen immer wieder, dass er Bauchschmerzen habe. Natürlich beim Spazierengehen, um getragen zu werden. Aber er probiert es auch zu Hause, wenn er aufräumen soll, aber keine Lust hat. Es ist eine Art Trial and Error. Was einmal zum gewünschten Ergebnis geführt hat, probiert man in ähnlichen Situationen aus. Versuchen und scheitern, anders versuchen, wieder scheitern, bis es irgendwann klappt.
Parra: Manchmal ist Trial and Error auch der einzige Weg, damit Kinder etwas lernen. Wenn ich zum Beispiel den kleineren Kindern bei uns erkläre, dass sie über eine eher unebene Wiese nicht rennen sollten, weil sie dann hinfallen, machen sie es trotzdem. Erst wenn sie oft genug hingefallen sind, beginnen sie von selbst zu gehen. So lernen sie durch Erfahrung und Wahrnehmung.
Im Grunde sind Kinder ja ständig im Experimentiermodus.
Parra: Und die Experimente werden mit zunehmendem Alter immer ausgeklügelter. Wir haben in unserer Gruppe zum Beispiel ein Rutschtier, Hugo, das ist sehr beliebt. Die Regel ist: Wenn ein Kind drauf ist, dann darf man diesem Kind Hugo nicht wegnehmen. Als heute nun ein jüngeres Kind drauf saß, versuchte ein älteres Kind erst, sich zu dem jüngeren Kind auf Hugo zu setzen, in der Hoffnung, dass das Kind dann runtergeht, weil es zu eng ist. Als das nicht klappte, lockte das ältere Kind das jüngere mit einem anderen Spielzeug, das funktionierte. Pfiffig.
Wie kann man Kinder bei der Entwicklung logischer Denkfähigkeiten fördern?
Parra: Reden und Erklären sind enorm wichtig! Dabei sollte man sich nicht einfach etwas ausdenken, um die Fragen der Kinder abzukürzen – die Kinder merken sich vieles. Idealerweise versucht man, geduldig alles zu erklären, bis der Wissensdurst der Kinder gestillt ist. Als ich den beiden Zweijährigen zum Beispiel heute erklärte, dass ich nicht in der Kita wohne, löste das eine wahre Lawine an Fragen und Erklärungen aus. Erst wollten sie wissen, ob mich auch meine Mama abholt. Als ich sagte, nein, die wohnt weit weg, da fragten sie geschockt, ob ich denn nicht bei Mama wohne und warum. Irgendwann gesellte sich ein älteres Mädchen dazu und sagte den Kindern, dass ihre Mama auch nicht bei ihr wohne, nur ihr Papa. Das löste eine regelrechte Diskussion zwischen den Kindern aus.
Baal: Wenn ältere Kinder etwas erklären, dann kann das besonders eingängig für die jüngeren Kinder sein. Auch weil sie oft weniger Worte benutzen und eine kindliche Perspektive haben. Und für die älteren Kinder, die den jüngeren etwas erklären können, ist das natürlich ein enormes Erfolgserlebnis! Auch deshalb sind Gruppen gemischten Alters oft sehr bereichernd für alle.
Gibt es auch Spielzeug, das logisches Denken besonders fördert?
Baal: In unseren Häusern gibt es verschiedene Steckspiele, Puzzles und Gesellschaftsspiele, all das fördert logisches Denken unter anderem deshalb, weil vom Kind eine gewisse Abstraktionsfähigkeit gefordert wird. Auch Spiele in der Gruppe können helfen, zum Beispiel Bewegungsspiele und Reime: Die Kinder lernen hier Koordination und bekommen ein Gefühl für wiederkehrende Strukturen.
Parra: Logik ist nichts, das man lernt wie Vokabeln oder Schreiben. Ich würde nie zu den Kindern sagen: So, jetzt üben wir mal, logisch zu denken. Logisches Denken ist etwas, was die Kinder kontinuierlich nebenbei lernen, wenn sie genügend stimuliert werden. Wiederholung spielt dabei auch eine wichtige Rolle: Wenn Dinge sich wiederholen, dann speichern die Kinder sie als das ab, was manche Erwachsene „logisch“ nennen würden: Das ist so, das ist ein Naturgesetz.
Baal: Deshalb sind Rituale bei Kindern ja so wirkungsvoll. Dass man nach dem Abendessen Zähne putzt, danach noch etwas vorgelesen bekommt und dann ins Bett geht. Oder dass in der Kita der Morgenkreis nach dem Frühstück ist und damit beginnt, dass man sich an den Händen hält. Für die Kinder sind das Anker in einer vermeintlich chaotischen Welt. Erwachsene sind vielleicht manchmal genervt und ungeduldig, wenn die Tochter immer zuerst die Hose, dann das T-Shirt und dann die Strümpfe anziehen will, in genau dieser Reihenfolge. Aber es ist nur ein Ausdruck ihres Sinns nach Ordnung. Nach Logik.
Was ist Logik?
Alle Kleinen wollen groß werden. Alle Kinder sind klein. Also wollen alle Kinder groß werden. Der letzte Satz wurde logisch hergeleitet, Logik (vom griechischen logos: Vernunft, Wort) versteht sich vor allem als Kunst der Schlussfolgerung. Und diese Kunst ist eine wahre Wissenschaft, die Menschen aus allen Disziplinen – von Philosophie über Mathematik bis hin zu Jura – seit Jahrtausenden beschäftigt. Man kann Logik auch als eine Art Kunst der Beweisführung sehen: Es gibt eine Vermutung, und mithilfe des richtigen, also schlüssigen Denkens versucht man, diese Vermutung zu bestätigen oder zu widerlegen. Ohne sich dessen bewusst zu sein, wenden alle Menschen diese Technik ständig an. Für die Entwicklung von Kindern ist Logik elementar: Sie hilft ihnen, sich die komplexe Welt Stück für Stück zu erschließen.
Christina Baal ist die pädagogische Leitung der kinderzimmer Kitas. Danny Parra arbeitet als Erzieherin in der Kita kinderzimmer Alsterberg. Derzeit betreut sie dort vor allem Krippenkinder im Alter von sechs Monaten bis drei Jahren.