Warum ist die Milch nicht grün? - Kita kinderzimmer Hamburg

Warum ist die Milch nicht grün?

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Ein Tag bei den Kühen.

Interview: Christian Heinrich

Der Besuch eines Bauernhofs vermittelt Kindern einen ganz neuen Blick auf Essen, Natur, Tiere und Umwelt – und er tut auch noch der Gruppendynamik gut. Worauf es dabei ankommt, erklärt die Bauernhof-Erlebnispädagogin Claudia Greshake.

Zu Ihnen zum Erlebnisbauernhof kommen regelmäßig Familien mit einzelnen Kindern, Kindergartengruppen, Schulklassen. Was macht so ein Tag mit den Kindern?

Eine ganze Menge, bei vielen Kindern würde ich sogar so weit gehen zu behaupten, dass es ihr Weltbild ein Stück weit verändert. Sie bekommen ein tieferes Verständnis von allem.

Wie kann ein einzelner Tag solch einen Impuls setzen?

Die Kinder lernen hier ja nicht nur einen anderen Alltag kennen, den eines Bauernhofs. Sie verstehen auch, dass alles mit allem zusammenhängt. Nehmen wir nur unsere Fledermausabende im Herbst. Da sehen die Kinder, wie viele Insekten eine Fledermausmutter fangen muss, um ihre Jungen zu ernähren. Schon ist klar, dass Insekten nicht einfach nur nerven, sondern eine wichtige Rolle haben. Ein anderes Beispiel: Zeige ich den Kindern im Stall mit Entzücken ein Spinnennetz, wundern die sich erst einmal, dass ich mich darüber freue. Oft wollen sie das Netz auch gleich kaputt machen. Aber wenn ich ihnen dann erkläre, dass die Spinnen hier von großem Nutzen sind, weil sie die Insekten fangen, die sonst den Kühen das Leben schwer machen würden, dann sehen sie die Spinnen mit ganz anderen Augen.

Die Kinder lernen Kreisläufe der Natur kennen.

Und das festigt bei ihnen ein Verständnis für die Komplexität und Verletzlichkeit der Natur. Dass Naturschutz wichtig ist, verstehen sie dann ganz von selbst. Wenn wir etwa Heuballen zur Fütterung der Kühe holen, und in den Ballen, die der Traktor gemäht und gepresst hat, finden sich kleine Stücke von Tetrapak-Apfelsaft-Tüten und Flipflops, dann ist klar, welche traurigen Folgen es hat, wenn man seinen Müll einfach an den Wegesrand wirft. Eine Erzieherin hat mir einmal erzählt, dass ihre Kinder von da an sogar zu erwachsenen Müllsündern gegangen sind und ihnen erklärt haben, was ihr Müll anrichten kann.

Verändert sich bei den Kindern auch der Blick auf die Lebensmittel?

Er erweitert sich. Denn meist kennen die Kinder ja nur die Packungen im Supermarkt. Bei uns bekommen sie einen Einblick, was geschieht, bevor etwas verpackt wird und in den Supermarkt kommt. Woher die Milch eigentlich kommt und wie es aussieht, wenn Kühe gemolken werden, das wird den Kindern oft erst bei uns bewusst. Davon haben vor allem jüngere Kinder oft keine Vorstellung.

Wie gehen Sie pädagogisch vor, um ein solches Verständnis zu wecken? Erklären Sie die Zusammenhänge direkt vor Ort, stellen Sie den Kindern Fragen dazu?

Natürlich erkläre ich ab und zu etwas, aber grundsätzlich halte ich mich eher zurück und stelle selbst wenig Fragen. Wir setzen stattdessen auf ein sogenanntes erlebnisorientiertes Konzept. Das bedeutet, statt viele Informationen anzuhäufen, sollen die Kinder bei uns eher direkte Erfahrungen machen und so Erfahrungswissen gewinnen. Also selbst anpacken, entdecken und erleben, alles anfassen, riechen, auch mal schmecken.

Mit allen Sinnen.

Richtig – und das möglichst selbstständig, was oft auch eine besondere Erfahrung ist. Denn wenn Erwachsene nicht alles eng anleiten und reglementieren, dann kann der Freiraum die Kinder auch lehren, Verantwortung zu tragen, als Gruppe zusammenzuarbeiten. Ich staune zum Beispiel bei der Kartoffelernte immer wieder, wie systematisch die Kinder den Abtransport in den Kinderschubkarren organisieren. Fast nebenbei festigt sich natürlich auch neues Wissen auf nachhaltige Weise. Dass Kartoffeln in der Erde wachsen, werden die Kinder nicht mehr vergessen, wenn sie einmal selbst welche ausgegraben haben. Sie werden immer mal wieder daran denken, wenn sie zu Hause Kartoffeln essen. Bei an-deren Lebensmitteln steht der Rhythmus der Natur im Vordergrund. Wer einmal einen Apfelbaum im Februar gesehen hat, der weiß, dass in dieser Zeit keine Äpfel geerntet werden können.

Aber reicht denn ein Tag aus, um den Lauf der Jahreszeiten zu begreifen?

Da sind natürlich mehrere Besuche besser, viele Gruppen kommen auch drei- oder viermal zu uns. Wir bieten immer zur jeweiligen Zeit passende Programme an, im Spätsommer die Kartoffelernte, im Herbst Fledermausabende, später Kürbiswerkstätten, in der Vorweihnachtszeit ein Wintermärchen im Stall. Und es gibt auch ein Konzept bei uns, bei dem Kindergruppen zwölfmal im Jahr kommen können, jeden Monat einmal. Dabei lernt man den Lauf der Jahreszeiten natürlich besonders intensiv kennen, wie sich ein Feld im Laufe der Zeit verändert, wann geerntet und wann neu bepflanzt wird.

Hat sich das Naturverständnis bei den Kindern in letzter Zeit verändert?

Die Kinder heute haben schon eine Vorstellung, was ein Bauernhof ist und was dort geschieht. Und alle wissen, dass es keine lila Kühe gibt. Aber man merkt auch, dass sie heute überwiegend in der Stadt aufwachsen. Und dass die Vermittlung von Naturwissen in vielen Familien leider nicht als vorrangig angesehen wird bei der Erziehung. Neulich habe ich einem Jungen Löwenzahn gegeben zum Füttern von Kaninchen, da hat er den Löwenzahn hingeworfen und angefangen, furchtbar zu weinen. Erst nach einigen Minuten haben wir ihn so weit beruhigt, um zu erfahren: Er kannte die Pflanze nicht, und das Wort „Löwenzahn“ machte ihm enorme Angst.

Ein anderer Junge wollte eine Wiese nicht betreten aus Angst, seine Kleidung schmutzig zu machen. Da habe ich ihn gefragt, ob sie zu Hause eine Waschmaschine haben. Dann hat er genickt und ist zögernd auf die Wiese gegangen. Aber gerade bei solchen Kindern stellen sich schnell Erfolgserlebnisse ein. Das gilt übrigens auch für den Umgang mit Tieren. Es gibt zum Beispiel Kinder, die treten nach einem Huhn. Nun könnte man meinen, diese Kinder wären bösartig. Aber oft ist es eher ein Zeichen von Hilflosigkeit, sie wissen meist ein-fach nicht, wie sie sich dem Tier nähern sollen. Andere sind sonst sehr schüchtern, aber wenn sie mit einem Tier warm werden, legen sie diesen Mantel der Zurückhaltung ab.

Können die Kinder denn an einem einzigen Tag den Umgang mit Tieren lernen?

Tiere sind hervorragende pädagogische Mitarbeiter. Wir brauchen nicht zu schimpfen oder zu loben: Das Tier reagiert direkt und unverfälscht, wenn ein Kind zu schnell ist, zu grob, dann zieht es sich zurück. Und wenn ein Kind alles richtig macht, dann schöpft das Tier Zu-trauen. Für das Kind ist das ein intuitiver Lernprozess, bei dem man auch in ein paar Stunden schon sehr weit kommen kann.


Inwiefern ist der Umgang mit Tieren auch hilfreich, besonders schüchterne Kinder oder diejenigen mit einer schwierigen Kindheit, wie zum Beispiel einer Fluchtgeschichte, abzuholen oder ihnen vielleicht ein Stück weit zu helfen, sich zu öffnen?

Dafür sind Tiere ideal. Sie wollen wenig, aber sie sind schnell glücklich. Sie geben Kindern, die Traumata haben, vernachlässigt wurden oder behindert sind, wichtige Erfolgserlebnisse, Nähe und vor allem das Gefühl, selbst etwas bewirken zu können. Sie füttern ein Tier, sie kümmern sich darum, geben ihm das, was es braucht – und das Tier gibt ihnen augenblicklich Dankbarkeit und Anhänglichkeit zurück. Dieser positive Effekt hilft natürlich allen Kindern, auch gesunden Kindern, die in der Gruppe kein so gutes Standing haben, etwa weil sie wegen der Sprache oder des Alters wenig bei-tragen können oder besonders schüchtern sind. Hier erfahren sie ein Erfolgserlebnis – und damit verbunden oft auch Anerkennung der anderen Kinder. Übrigens gilt das besonders für Flüchtlingskinder, die neu sind in der Gruppe und noch nicht so gut deutsch sprechen. Mancher Junge aus Syrien hat alle beeindruckt, weil er so gut mit Schafen oder Ziegen umgehen konnte.


Kann ein solches Erlebnis die Gruppendynamik tatsächlich nachhaltig auflockern und verbessern?

Oft ist das nur ein erster Schritt, aber manchmal ist es der entscheidende Schritt. Ich sage immer: Ein Tag auf dem Bauernhof wirbelt alles durcheinander und kann das Gruppengefüge auf den Kopf stellen, im positiven Sinne. Das höre ich noch Wochen und Monate später von Lehrern oder Erziehern.

Claudia Greshake bewirtschaftet mit ihrem Mann den Bauernhof Gut Hixholz in Nordrhein-Westfalen. Während ihr Mann sich um die Landwirtschaft kümmert, hat die Diplombiologin und zertifizierte Bauernhof-Erlebnispädagogin im Jahr 2005 dort einen Lernbauernhof etabliert, der regelmäßig von Kindergruppen aus ganz Deutschland und von Familien besucht wird.Unser Autor war als Kind mit seinen Eltern einmal über Nacht auf einem Bauernhof. Er erinnert sich noch daran, dass er damals auch Kartoffeln geerntet hatte. Ein einschneidendes Erlebnis: Bis heute ploppt die Erinnerung noch in ihm auf, wenn er im Supermarkt oder in der Küche zu den Kartoffeln greift.