Fremd? Wir in der kita Kinderzimmer finden: familienergänzende Betreuung passt viel besser. Denn sehr schnell sind die pädagogischen Fachkräfte, die anderen Kinder und die farbenfrohen Räume des kinderzimmers vertraut.
Ist mein Kind schon reif für die Kita? – Eingewöhnung an die Kita
Die Kita als Teil des Dorfes.
Interview: Janina Jetten | Foto: Conny Mirbach
Ist es okay, wenn wir unser Kind schon früh in die Kita geben? Kann man sehen, ob das eigene Kind kitareif ist? Und worauf sollte man bei einer guten Eingewöhnung achten? Marianna Jartó, wissenschaftliche Mitarbeiterin am KOKU – Forschungszentrum für kognitive und kulturelle Entwicklung, Entwicklungspsychologie an der Universität Hamburg, beantwortet alle wichtigen Fragen zum Kitastart und sagt, warum Eltern kein schlechtes Gewissen haben müssen.
Wie ist denn der Entwicklungsstand des Einjährigen, das in die Kita kommt?
Mit eins verstehen Kinder schon sehr viel von ihren sozialen Interaktionspartnern, vor allem Erwachsenen. Sie können schon gut mit ihnen kommunizieren, indem sie zum Beispiel auf Dinge zeigen, oder verstehen, wenn andere Hilfe brauchen. Sie beobachten genau, was diese tun. Mit achtzehn Monaten beginnen sie, mit anderen Kindern zu kooperieren, und ab zwei Jahren geht das Miteinander so richtig los, dann steht die Interaktion mit den Kitafreunden deutlich im Mittelpunkt. Und je älter sie werden, desto mehr wollen sie auf Erkundungstour gehen.
Früher hat man Kinder in der Regel mit drei Jahren in den Kindergarten gegeben. Nun sind sie oft ab eins in der Kita. Gibt es Vorteile für einen frühen Start?
Wenn die Bindung zwischen Kind und Erzieher stimmt, gibt es relativ viele Vorteile: Das Kind bekommt mehr Eindrücke als zu Hause und hat mehr Sozialkontakte zu anderen Kindern. Studien zeigen auch, dass bessere kognitive und sprachliche Fähigkeiten im Verbund mit anderen erworben werden – und das hilft ihnen später in der Schule. Es ist aber auch eine Beziehungserweiterung: Mit den Erziehern gibt es zusätzliche Personen, die auf das Kind achtgeben. Und das wiederum bedeutet am Ende eine Entlastung für die Eltern.
Gibt es Nachteile, wenn man sein Kind mit eins in die Kita gibt?
Man muss sich bewusst sein, dass es für die Kinder anfangs sehr stressig ist. Gerade in den ersten Tagen ist der Stresspegel extrem hoch: die neuen Eindrücke, die vielen Kinder, die Geräusche – das alles prasselt auf sie ein. Aber eine sanfte Eingewöhnung und einfühlsame Erzieher und Erzieherinnen können dies gut regulieren. Und nach etwa fünf Monaten hat sich der Stresslevel deutlich normalisiert, wie Studien zeigen.
Was kann man als Eltern machen, um den Kindern den Stress zu nehmen?
Eine gute Frage. Entspannt bleiben, sich Zeit für die Eingewöhnung nehmen, den Kindern Nähe und Sicherheit geben, ihnen Ruhe gönnen und nicht gleich zum nächsten Event hetzen. Natürlich muss man jedes Kind einzeln betrachten – die einen brauchen einen ruhigen verkuschelten Nachmittag, die anderen kommen gut damit klar, wenn es noch ein Spieldate gibt.
Ist es für Kinder mit drei Jahren einfacher oder schwieriger, eine Beziehung zur Erzieherin aufzubauen und sich in den Kita-Alltag einzugliedern?
Weder noch. Aber mit zunehmendem Alter wird die Beziehung zur Erzieherin oder zum Erzieher etwas weniger eng. Die Jüngeren brauchen eine sichere Basis, zu der sie jederzeit zurückkehren können. Die Älteren hingegen wollen viel mehr erforschen und in Interaktion mit Gleichaltrigen treten. Und wie ist es für ein Kind unter eins, sagen wir mal mit zehn Monaten, in die Kita zu gehen? Je jünger, desto mehr Aufmerksamkeit ist nötig. Gerade, wenn das Kind wahrscheinlich noch nicht selbst gehen kann. Aber auch schon in diesem Alter ist ein Kind in der Lage, eine gute Bindung zur Erzieherin oder zum Erzieher aufzubauen. Studien zeigen allerdings, dass es ohnehin am wichtigsten ist, dass das Kind eine sichere Eltern-Kind-Bindung hat.
Sichere Bindung, wie würden Sie das definieren?
Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Kinder Geborgenheit, Verständnis und Liebe bei ihren Eltern bekommen. Dass auf die Bedürfnisse der Kinder eingegangen wird. Dass sie immer wieder Nähe bei ihren Eltern tanken können, um dann wieder erforschen und erkunden zu dürfen. Es reicht nicht, sein Kind abends einfach nur ins Bett zu bringen. Wobei die Qualität mehr Gewicht hat als die Quantität.
Welche Merkmale signalisieren, dass ein Kind so weit ist, in die Kita zu gehen?
Wenn das Kind Interesse an anderen hat, sich schon mal von einem wegbewegt, es liebt, die nähere Umgebung zu erkunden – das sind gute Anzeichen. Auch von Vorteil ist es, wenn das Kind anfängt, seine Gefühle regulieren zu können, und sich von anderen beruhigen lassen kann. Aber selbst, wenn diese Zeichen nicht vorhanden sind: Die Kita ist ja auch dafür da, dass die Kinder das dort lernen.
Gibt es denn auch Kinder, die mit eins noch nicht kitareif sind?
Würde ich so jetzt nicht sagen. Es gibt natürlich Kinder, die schüchterner sind als andere, die eine soziale Angst haben oder die mit den vielen neuen Kindern überfordert sind. Diesen Kindern muss man dann einfach mehr Zeit geben, um sich an die Situation zu gewöhnen. Das kann durch liebevolle Erzieher gut ausgewogen werden.
Und wenn die Eltern nicht wirklich dahinterstehen, dass ihr Kind in die Kita kommt?
Die Eltern müssen sich natürlich wohlfühlen. Kinder sind ja sehr sensibel und haben ganz genaue Antennen für so etwas. Wenn man eigentlich gar nicht dahintersteht und es finanziell irgendwie möglich ist, dann sollte man sich nicht beeinflussen lassen und auf sich selbst hören.
Was bedeutet es für das Kind, wenn Mutter und Vater arbeiten gehen?
Die Frage müsste man eigentlich den Kindern stellen. Natürlich verstehen auch die Jüngeren, dass die Mama irgendwann wiederkommt – sie begreifen, dass Papa und Mama auch existieren, wenn sie sie nicht sehen.
Viele Eltern plagt gern mal das schlechte Gewissen, dass sie ihr Kind (so früh) in die Kita geben. Was sagen Sie dazu?
Ganz einfach: Sie müssen kein schlechtes Gewissen haben, weil es dafür keinen Grund gibt. Fremdbetreuung ist ja nichts Schlechtes. Früher waren die Kinder auch nicht durchgehend bei den Eltern. Es gab schon immer ein großes Familiennetz, das sich unterstützt hat. Wie sagt man so schön: Es bedarf eines ganzen Dorfs, ein Kind großzuziehen. Dazu gehört nun eben auch die Kita. Aber es ist derzeit tief in der Gesellschaft verankert, dass man sein Kind nicht früh abgibt und auch noch in fremde Hände. Vielleicht hilft ein Perspektivwechsel: Wir haben eine oder mehrere zusätzliche Bezugspersonen, die einen Platz im Leben unseres Kindes einnehmen – und das ist auch für das Kind wichtig.
Wie sieht eine gute Eingewöhnung aus?
Die Kita sollte genug Zeit für die Eingewöhnung einräumen, es sollte nie mit Druck gearbeitet werden. Die meisten Kitas arbeiten nach dem bekannten Berliner Modell, das ich auch empfehle. Dabei wird das Kind sehr langsam an die neue Situation gewöhnt, und die Bezugsperson, also die Mutter, der Vater, die Großmutter …, ist in der ersten Woche komplett dabei, und wenn sie aus dem Raum geht, dann nur kurz. Warum? Diese ungewohnte und stressvolle Zeit sieht sich das Kind am besten mit einer vertrauten Person an. Mein Tipp ist auch, dass man krankheitsbedingte Rückschläge einplanen sollte, denn es kommt nicht selten vor, dass ein Kind erst einmal mit vielen neuen Erregern konfrontiert ist und krank wird, und dann ist es gut, einen Zeitpuffer bei der Eingewöhnung zu haben.
Das eigene Kind weint viel in der Eingewöhnung – ein Grund, sich Sorgen zu machen?
Diesen Rückschluss stellen viele Eltern: Mein Kind weint beim Abgeben und während der Eingewöhnung – ergo fühlt das Kind sich nicht wohl. Das kann man so aber nicht sagen. Weinen ist ein gängiges Mittel, Stress abzubauen. Natürlich ist das ein Zeichen, dass ihm etwas unangenehm ist und das Kind lieber bei der ihm bekannten Person bleiben will. Ganz einfach, weil es eben seine Zeit braucht, um eine Beziehung zu einer zunächst völlig unbekannten Person aufzubauen. Das Gute am Weinen ist, wenn man das so sagen kann: Es führt dazu, dass sich die Erzieherin oder der Erzieher um das Kind kümmert. So bekommt sie oder er die Möglichkeit, die Gefühle des Kindes zu regulieren, und eine Bindung wird aufgebaut.
Und wie ist es zu sehen, wenn das Kind zu Hause, nach Kita-Ende, weint?
Es gibt da eine spannende Studie: Die Kinder, die tagsüber in die Kita gehen, quengeln abends mehr als die Kinder, die nicht in die Kita gehen. Die meisten Eltern denken dann: O nein, mein Kind fühlt sich vielleicht nicht wohl in der Kita … Doch diese Studie zeigt auch: Über den Tag gesehen quengeln beide gleich viel. Nur dass die „Kitakinder“ es abends rauslassen … Sie fordern damit mehr Nähe, wollen mehr kuscheln. Dem sollte man dann einfach entsprechen.
Können Erzieher die Rolle der vertrauten Bezugsperson denn ausreichend übernehmen?
Aber ja. Das ist ja auch extrem wichtig. Es bleibt natürlich eine andere Beziehung als zu den Eltern, die viel mehr Nähe zu den eigenen Kindern haben. Gute Erzieher haben den Bezug zum Kind, sie gehen aber auch auf die gesamte Gruppe ein, um ein positives Klima und gutes Miteinander zu schaffen. Und sie schenken auch jenen genügend Aufmerksamkeit, die nicht weinen, damit diese Kinder nicht untergehen. Gute Erzieher haben einfach die ganze Gruppe im Blick.
Wie wichtig ist die Ausbildung?
Oft heißt es, bei Kleinkindern komme es weniger auf Pädagogik an als auf eine geborgene, warme Atmosphäre. Beides ist immens wichtig! Warmherzigkeit wird nicht unbedingt durch eine Ausbildung vermittelt, und es ist bewiesen, dass das Empathievermögen der Erzieher eine große Wirkung auf die Kinder hat. Aber durch die nötige Ausbildung wird die Perspektive der Erzieher noch einmal sensibilisiert. Es ist wichtig, dass sie die Entwicklungsstände der Kinder kennen, um verständnisvoll zu reagieren.
Was sind Zeichen einer nicht so guten Eingewöhnung?
Allen voran, wenn sich die Kita zu wenig Zeit nehmen will. Es gibt mittlerweile in einigen Kitas sogar die Idee, dass das Kind die Eingewöhnung allein machen soll. Das halte ich für keine gute Idee. Man sollte auch genauer hinschauen, wenn die Erzieherin oder der Erzieher es über einen längeren Zeitraum nicht schafft, das Kind zu beruhigen. Dann ist es wichtig, das Gespräch zu suchen und dem auf den Grund zu gehen. Wenn man sich danach immer noch nicht abgeholt fühlt, kann man über einen Gruppen- oder auch Kitawechsel nachdenken.
Manche Eltern müssen ihre Kinder schon mal für zehn Stunden in die Kita geben. Ist das zu lang?
Solange es einen guten Ausgleich gibt, vor allem in jungen Jahren, ist auch dies machbar. Ich meine damit die sichere Eltern-Kind-Bindung, von der ich schon sprach. Meine Traumvorstellung wäre es, dass die jüngeren Kinder noch nicht so lange in die Kita gehen wie die älteren. Weil Teilzeit aber nun einmal leider nicht immer für jeden möglich ist, bedeutet es für die Eltern, dass sie ihren Kindern eine Extraportion Geborgenheit gönnen sollten. Einfach viel Nähe geben, viel kuscheln und viel da sein.