Die ersten Türchen des Adventskalenders sind geöffnet und die Aufregung bei den Kindern wächst. Und auch die Anspannung bei ihren Eltern. Wie kann der Dezember ein wenig ruhiger und trotzdem so richtig schön werden?
Kann man Toleranz lernen?
Hinschauen ist völlig normal!
Text: Isabella Bigler
Kinder sind von Natur aus neugierig. Sie sind auch von Natur aus tolerant. Ihre Reaktion auf Diversität hängt also vor allem von zwei Dingen ab. Erstens: ob sie sich zum allerersten Mal mit Neuem konfrontiert sehen. Zweitens: wie ihre Umgebung auf etwas Neues reagiert.
Christina kam im Alter von drei Jahren mit ihren Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Ein Jahr später sah sie bei einem Stadtbummel zum ersten Mal einen schwarzen Mann. Das warf bei ihr eine Frage von großer Dringlichkeit auf „Mama, welche Farbe hat bei ihm ein blauer Fleck?
Adventszeit, heute basteln die Kinder in der Kita einen Stern – aber nicht alle Kinder. Elias, dessen Eltern Juden sind, fasst die Bastelsachen nicht an. „Der Stern ist doch christlich, es geht ja um die Geburt von Jesus. Ich bin kein Christ. Darf ich da denn mitmachen?“ Natürlich, sagt die Erzieherin. Elias ist noch unschlüssig, er fragt sich, ob seine Mama dann nicht böse wird. Die Erzieherin beruhigt ihn: „Bestimmt nicht. Aber wir können sie ja auch kurz anrufen und fragen, wenn Du magst.“
Es ist normal, verschieden zu sein. Auch und besonders in religiöser Hinsicht. Aber das gilt nicht nur für Religionen, es bezieht sich ebenso auf Essgewohnheiten, kulturelle Bräuche, Traditionen.
In der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ist festgeschrieben, dass diese Verschiedenheit im Geist der Toleranz und der Begegnung erlebt werden sollte. Die Konvention besagt in Artikel 29, Absatz 1d, dass die Bildung darauf gerichtet sein muss, das Kind auf ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Gesellschaft im Geist der Verständigung des Friedens, der Toleranz, der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Freundschaft zwischen allen Völkern und ethnischen, nationalen und religiösen Gruppen vorzubereiten.
Reagiert die Person jedoch offen, wird das Neue einfach mit „Aha, sowas gibt es also auch“angenommen. Je natürlicher die Umgebung auf Andersartigkeit reagiert, desto natürlicher reagiert auch das Kind. Außerdem ist das ja alles spannend: indisch essen gehen und einen Mann mit Turban treffen. Omas Geburtstag und deren Freundin mit den goldenen Zähnen. Der riesengroße Mann am Bahnhof, der immer zwei Treppenstufen auf einmal nimmt. Die Jungs mit den glitzernden Feenflügeln beim Christopher Street Day. Das neue Mädchen beim Kinderturnen, das ganz kurze, rote Haare hat und dessen Name keiner beim ersten Mal richtig ausspricht.
Toleranz muss man Kindern nicht „beibringen“. Man muss eigentlich nur verhindern, dass sie ihnen abtrainiert wird. Die Reaktion von Christinas Mutter, die genau so wie ihre Tochter zum ersten Mal einem Schwarzen persönlich begegnete, war übrigens ziemlich gut:„Keine Ahnung. Wollen wir ihn zusammen fragen gehen?“