Und wenn ein Kind zwei Papas hat? - Kita kinderzimmer Hamburg

Und wenn ein Kind zwei Papas hat?

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Liebe und Glück sind wichtiger.

1. Kapitel (…) „Na, die anderen Kinder im Kindergarten haben alle Papas. Und ich, ich habe keinen!“ „Aber die haben auch Geschwister. Und die hast Du auch nicht!“, entgegnete Lena. „Mama!“ „Ja, Pupsi?“ „Ich möchte wirklich, ganz ernsthaft, unbedingt, also so ziemlich dringend den Papa kennenlernen“, sagte sie ganz leise und sanft, weil sie ihre Mutter nicht traurig machen wollte. „Okay, okay, dann packen wir jetzt unsere Sachen und machen uns auf den Weg“, sagte Lena. „Wirklich?“ „Ja, wirklich, Bubu.“ (…)

Vor einem halben Jahr saß ich bei einer Freundin in Berlin-Zehlendorf. Sie hat zwei Kinder und ist verheiratet. Es war ein Sonntag. Ein ziemlich kalter sogar. Meine Tochter spielte mit ihren Kindern im Wohnzimmer, und wir tranken Tee am Küchentisch. Sie erzählte mir wie jedes Mal, wenn ich sie besuche – und das seit mittlerweile sechs Jahren –, wie unglücklich sie sei. In dieser Ehe mit einem Idioten, der nicht mal ein Kinderbett zusammenbauen kann, der sie mit Hunderten Textnachrichten terrorisiert, wenn es Streit gibt. Ein Mann, den sie seit Jahren nicht mehr liebt.

Ich fragte sie, wie jedes Mal, wenn ich sie sehe – seit mittlerweile sechs Jahren –, warum sie ihn nicht einfach verlässt, und sie antwortete wie immer: „Ich werde doch keine alleinerziehende Mutter. Auf keinen Fall! Und dann diese bemitleidenden Blicke der anderen. Ich bleibe!“ Das Gehen ginge auch gar nicht mehr so einfach. Würde sie ihn verlassen, könnte sie ihren beiden Kindern nicht mal eine Banane kaufen, schließlich bringe ihr Mann das Geld nach Hause.

Nach dem Besuch stieg ich mit meiner Tochter in mein Auto, das ich mir vor Jahren von meinem eigenen Geld gekauft hatte, und fuhr in meine Dreizimmer-Altbauwohnung in Berlin-Mitte, deren Miete ich selbstverständlich auch allein zahle. Ich brachte allein meine Tochter ins Bett, so wie ich es schon seit zwei Jahren tue. Und als ich irgendwann selbst im Bett lag – extrem erschöpft, wie man es als Mutter nun mal ist –, erhielt ich von meiner Freundin eine SMS: „Du musst auch mal wieder daten. Da kommt schon noch jemand, der endlich Ettas Vater sein kann. Ihr müsst doch eine richtige Familie werden.“ Und ich dachte nur: Was ihr nicht seid, sind wir schon lange. Nämlich glücklich. Kann nur eine heteronormative Familie perfekt sein, und alles andere ist einfach falsch? Ich dachte an all die anderen Familien, die ich kenne, die glücklich sind, egal in welcher Konstellation sie leben.

Schwule Berggazellen haben eine Schildkröte adoptiert.

Ich dachte an eine queere Sexarbeiterin, die ihre Tochter in einem Co-Parenting-Umfeld großzieht und eine der klügsten Frauen ist, die mir je begegnet sind. Ich dachte an das schwule Pärchen aus Ettas Kita, das Zwillinge durch eine amerikanische Leihmutter bekam, ich dachte aber auch an meine gute Freundin Boussa, die in einer wunderschönen heteronormativen Familie lebt, in der man sich immer zu Hause fühlt und immer willkommen ist. Ich dachte an all diese glücklichen Familien, die ich kenne, und dann begann ich zu schreiben.

Ich schrieb ein Kinderbuch, das von der Löwin Lena und ihrer Tochter Ella handelt, die sich auf die Suche nach Ellas Vater begeben, weil Ella das so wahnsinnig wichtig findet, und dabei die unterschiedlichsten Familienmodelle treffen. Eine Wölfin zum Beispiel, die mithilfe einer Samenspende Zwillinge bekam; Giraffengroßeltern, die sich um ihre Enkel kümmern; ein polyamouröses Vogelgespann; schwule Berggazellen, die eine Schildkröte adoptiert haben, lesbische Hyänen, die sich einen Hausmann halten – und noch viele andere mehr.

7. Kapitel (…) „Wo ist denn Methals Papa?“, fragte Ella, und Lena legte wieder verschämt die Pfote über die Augen. „Ich bin Methals Papa“, antwortete Yahya, und Salim sagte: „Und ich bin auch Methals Papa.“ „Aber Methal ist doch gar keine Gazelle!“, sagte Ella frech. Sofort schaltete sich Methal ein und antwortete genauso frech: „Jetzt hör mal zu, Du besserwisserische kleine Löwin. Das sind beide meine Papas. Völlig egal, ob sie Gazellen sind und ich eine Schildkröte. Sie haben mich bei sich aufgenommen, und sie haben mich lieb gehabt, als niemand aus meiner Schildkrötenfamilie mich lieb gehabt hat.“ (…)


Wenn meine Tochter aus dem Kindergarten kommt, dann redet und singt sie von Mama, Papa, Kind. Warum? Weil sie dort natürlich nur Bücher lesen und Lieder singen, die dieses Familienmodell abbilden. Ihre Lebenswelt und die vieler anderer Kinder, die in nicht in Mama-Papa-Kind-Familienmodellen leben, wird nicht gespiegelt. Heißt, Kinder wie meine Tochter kommen sich anders vor. Vielleicht sogar falsch oder nicht perfekt. Damit das aufhört, damit Kinder aller Familienkonstellationen sich gesehen fühlen, muss Kinderliteratur endlich der Realität angepasst werden.

Die Autorin, Schriftstellerin und Journalistin Mirna Funk lebt mit ihrer Tochter in Berlin und Tel Aviv. Zusammen mit der israelischen Illustratorin Maayan Sophia Weisstub hatte sie die Idee zu ihrem Buch „Wo ist Papa?“, das auf Deutsch, Englisch, Hebräisch und Französisch erschienen ist (www.whereisdaddy.net).