Fremd? Wir in der kita Kinderzimmer finden: familienergänzende Betreuung passt viel besser. Denn sehr schnell sind die pädagogischen Fachkräfte, die anderen Kinder und die farbenfrohen Räume des kinderzimmers vertraut.
Was tun, wenn meinem Kind langweilig ist?
Langeweile, aber jetzt sofort!
Text: Catharina König Foto: Conny Mirbach
„Mir ist laaaaangweilig …“ Welche Eltern haben diesen Satz, zumindest bei Kindern, die schon sprechen können, noch nicht gehört? Oft fühlt man sich als Eltern dann gezwungen, ein Spiel vorzuschlagen oder Tipps zu geben, was das Kind alles machen könnte. Bloß nicht, entgegnen einhellig die Entwicklungsexperten. Langeweile muss sein.
Ein Sonntagnachmittag. Luisa schleicht im Wohnzimmer rum. Ihre Eltern sitzen auf dem Sofa und lesen seit knapp fünf Minuten Zeitung. In einer dramatischen Geste schmeißt sich die Dreijährige irgendwann ebenfalls aufs Sofa, stößt einen Laut aus, der an eine Heulboje erinnert, und sagt diesen einen Satz: „Mir. Ist. Langweilig.“ Jetzt gibt es mehrere Optionen. Sich mit dem Kind gemeinsam hinsetzen und sich ein Spiel ausdenken, etwas vorlesen oder sogar eine Folge „Peppa Wutz“ einschalten. Oder dem Kind Vorschläge machen, was man allein spielen könnte. Oder, und das halten Entwicklungsexperten für die beste Variante: dem Kind zu sagen, sich selbst zu beschäftigen. Ohne Vorschläge, ohne Leitplanken.
Denn Langeweile ist keine Zeitverschwendung, im Gegenteil, sie ist eine Investition in die Zukunft der Kinder: „Unsere Aufgabe als Eltern ist es, unsere Kinder darauf vorzubereiten, ihren Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Erwachsen zu sein bedeutet, sich selbst zu beschäftigen und die Freizeit auf eine Art und Weise zu gestalten, die einen glücklich macht. Wenn Eltern ihre Zeit damit verbringen, die Freizeit ihrer Kinder zu verplanen, dann werden diese Kinder nie lernen, es für sich selbst zu tun“, erklärt die Kinderpsychologin Lyn Fry.
Heißt also, wem schon als Kind gelegentlich langweilig war und wer lernen musste, diese Leere selbst zu füllen, der weiß als Erwachsener deutlich besser, wo er hingehört. Findet Aktivitäten und Hobbys, die glücklich machen, und ist sich manchmal auch einfach selbst genug. Eine Fähigkeit, die viel mit Selbstvertrauen und Zufriedenheit zu tun hat. Wer sich in stillen Momenten selbst zuhört, hat außerdem später bessere Chancen, einen Beruf zu ergreifen, der zu ihm passt.
Der Montagnachmittag ist frei, am Dienstag ist Turnen und Mittwoch Singen, Donnerstag Ballett oder Fußball und Freitag noch Englisch. Die Wochentage vieler Kinder sind heute streng getaktet. Zeit, um allein oder mit anderen Kindern zu spielen, bleibt da kaum. Am Vormittag gibt es oft Programm und Spielbegleitung im Kindergarten, und auch am Nachmittag, so wird es heutzutage in einer Welt der Überstimulation erwartet, muss natürlich Action sein. Bloß nicht, warnt Erziehungsexperte Jesper Juul in einem Artikel: „Eltern und Kinder sind Konsumenten geworden. Das führt dazu, dass vielen Kindern langweilig wird, sobald die externe Stimulation fehlt.“ Die Kinder seien stimulationssüchtig und schon wie auf Entzug, wenn die äußeren Reize wegfallen. Experte Juul fordert, dass Eltern ihren Kindern Langeweile zugestehen, ohne schlechtes Gewissen.
Wichtig: Experte werden im eigenen Flow.
Aber wie hält man das aus? Selbst ermattet vom Tag oder wenn man die letzten ruhigen Minuten des Wochenendes noch genießen will? Jesper Juul hat einen zunächst schräg klingenden Tipp für Eltern. Sie sollten ihr Kind in den Arm nehmen und sagen: „Herzlichen Glückwunsch! Es interessiert mich zu sehen, was Du jetzt tust.“ Das wird bei Kindern zunächst sicher Irritation hervorrufen. Aber, und das ist aus Sicht des Experten das Wichtigste: Es setzt Stimuli frei. Auch die Psychologin und Buchautorin Vanessa Lapointe rät zu Langeweile. „Kinder müssen in ihrer eigenen Langeweile versinken, damit die Welt um sie herum so still wird, dass sie sich selbst hören können“, sagt sie. In der Stille und der Ruhe fängt das Gehirn an, kreativ zu werden. Dem Geist wird Zeit gegeben, eigene Ideen zu entwickeln.
Luisas Eltern bleiben stark. Sie wollen lesen, Luisa soll sich selbst beschäftigen. Ihre Mutter unterdrückt den Impuls, ihr Vorschläge zu machen. Nach einigen weiteren Minuten des Jammerns verzieht sich Luisa maulend in ihr Zimmer. Nur wenige Augenblicke später ist es ruhig. Luisa hat die Tür geschlossen. Nach einer halben Stunde öffnet ihre Mutter die Tür, Luisa bemerkt es nicht. Sie sitzt auf ihrem Bett und hat um sich herum eine eigene Welt erschaffen. Verschiedene Kuscheltiere sitzen dabei, die Box mit den Haarspangen ist ausgekippt, Luisa hat ihre Lieblingspuppe auf dem Schoß und erzählt ihrem „Baby“ eine Geschichte. Sie ist, wie Experten das nennen, im sogenannten Flow und hat alles um sich herum vergessen.
Sollte man also, wann immer es geht, das Kind zum Alleinespielen animieren? Nein, es gilt, einen Mittelweg zu finden. Weder geht es darum, die Wünsche der Kinder abzuweisen und sie so in ihren Bedürfnissen zu beschränken, noch, stets den Alleinunterhalter zu spielen. Denn ob ein Kind es schafft, sich mit sich selbst zu beschäftigen, und wie lange, hängt auch von seiner Tagesform, von Alter und Temperament ab. Und das kennen wir Erwachsene ja ebenso.