Fremd? Wir in der kita Kinderzimmer finden: familienergänzende Betreuung passt viel besser. Denn sehr schnell sind die pädagogischen Fachkräfte, die anderen Kinder und die farbenfrohen Räume des kinderzimmers vertraut.
Wie verhandle ich mit meinem Kind?
Die Kunst des Verhandelns.
Text: Sabine Cole
Kinder wollen handeln. Und Eltern müssen manchmal verhandeln, wie viel Handlungsfreiheit sie Kindern geben, wo Einschränken wichtig ist und wo Unnachgiebigkeit zählt und vor allem auch, wie man als Erwachsener Freiheiten für sich selbst rausholt. Ein Plädoyer für mehr Handeln. In alle Richtungen.
„Matilda, lass das mal, ich bring das gleich rüber.“ „Papa, ich mach das, alleeeeine!“ Das Experiment „Milch selber eingießen und dann von der Küchenzeile zum Esstisch tragen“ wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine der beiden Szenarien münden: A) Die erste Pfütze entsteht beim Eingießen. Der verbliebene Milchpegel im Becher plempert entlang des Weges auf den Boden, der Becher wird mit einem triumphierenden Touchdown auf den erreichten Esstisch gehoben. Ein bedeutender Rest ist im Becher verblieben. Mission erfolgreich durchgeführt, Papa wischt hinterher, Kind stolz. B) Becher kippt beim Eingießen um, Kind erst erstaunt, wischt dann mit den Fingern noch ein bisschen in der Pfütze rum, Papa schimpft genervt, Kind heult.
Handeln heißt, etwas zu tun mit einem bestimmten Ziel. Zum Beispiel Milch eingießen ohne Verschlabbern! Wenn man drei Jahre alt ist, eine große Aufgabe. Das kann klappen. Muss aber nicht. Denn die motorische Aufgabe ist vergleichbar mit Papas diffizilem Versuch, den Inhalt eines Rotweinschwenkers in die Flasche zurückzugießen. Manchmal hat man die Nerven, den Ausgang des Experiments auszuhalten, manchmal nicht. Belohnt wird geduldiges Hinterherwischen mit schnellem Lerngewinn beim Kind. Und mit Erfolgserlebnissen und der Gewissheit, selbst etwas ausrichten zu können. Selbst wirksam zu sein.
„Matilda, lass mich bitte einfach mal fünf Minuten in Ruhe duschen, ja? Das muss doch mal möglich sein.“ Mama macht die Tür zu. Kind steht vor der Tür, plötzlich geht alleine aber absolut überhaupt nicht. Kind ruft, Mama reagiert nicht, Kind macht die Tür auf, zieht den Duschvorhang zur Seite und guckt, ob Mama noch da ist, Mama kriegt Schaum in die Augen und duscht das Bad nass. Kind heult. Mama auch gleich. Sind fünf Minuten Ruhe zu viel verlangt? Wie lange sind fünf Minuten? Vielleicht gibt Mama Matilda das nächste Mal eine Eieruhr mit vor die Badezimmertür. Vielleicht hilft das. Vielleicht nimmt Matilda die Uhr aber auch auseinander. Wer weiß. Aber dann hat Mama wenigstens in Ruhe geduscht. Eins nach dem anderen.
Kinder lernen zu handeln, indem sie handeln dürfen. Kinder müssen aber auch lernen, dass sie es manchmal aushalten müssen, nicht zu handeln. Und Eltern müssen entscheiden, wann sie streng bleiben sollten, wann sie die Handlungsfreiheit per Regel einschränken (Schlafengehenszeit, vorher Zähne putzen, den Hund nicht triezen). Bei unverhandelbaren Zielen hilft Klarheit allen Beteiligten. Und Eltern müssen für sich entscheiden, wann sie sich kooperativ zeigen. Denn ein Ziel lässt sich oft auf mehreren Wegen erreichen.
„Du darfst Dir die Milch selbst einschenken. Dann gibst Du mir das Glas, aber ich trage es aus der Küche zum Esstisch, weil ich nicht den Wohnzimmerboden putzen will.“ „Ich dusche jetzt fünf Minuten, in der Zwischenzeit darfst Du bei mir im Badezimmer ein Buch lesen.“
Manchmal hilft nur ein Überraschungs-Angriff.
Verhandlungen zur Kompromissfindung lassen unterschiedliche Rollen zu. In welcher Verhandlungsposition befinde ich mich? Welches Ziel verfolge ich? Mit wem verhandle ich? Mit einem gut gelaunten oder einem sehr müden Verhandlungspartner? Ersteres verspricht Erfolg, Letzteres Scheitern. Will ich etwas vermitteln oder mich durchsetzen? Habe ich Zeit für Diskussionen, oder befinde ich mich unter Zeitdruck, weil ich zum Beispiel zur Arbeit muss?
„Ich will ein Eis.“
„Ich muss erst die Einkäufe aus dem Auto holen und in den Kühlschrank tun, sonst wird alles schlecht.“
„Ich will aber ein Eis.“
„Wenn wir fertig sind, kriegst Du ein Eis.“
„Jetzt.“
„Wenn Du mir hilfst, geht es schneller.“
„Nein.“
„Du könntest die Tüten ausräumen und mir die Sachen anreichen, dann findest Du das Eis.“
„Ja.“
Als Elternteil sitzen Sie am längeren Hebel. Verhandlungen mit Kindern sind nicht eben ein Konzept auf Augenhöhe. Schon allein die Größe bringt die Kleinen in eine schlechtere Ausgangsposition. Meistens zumindest. Wenn das Kind allerdings partout nicht will, hat es durchaus Möglichkeiten, sich durchzusetzen. Kinder können brüllen, sie können sich weigern zu schlafen, nichts essen.
Manchmal hilft dann nur noch ein Überraschungsangriff, eine Finte, ein Ablenkungsmanöver. Denn sich grob durchzusetzen ist keine Option. Geduld, Humor, Kreativität und die Fähigkeit, auch mal über sich selbst zu lachen, sind bei Erwachsenen wie Kindern die Spielmasse für Handeln und Verhandlungen. Und eins können sich Erwachsene bei Kindern in puncto Verhandlungsgeschick abgucken: Kinder wissen immer, wer das Sagen hat. Sie verhandeln sofort mit dem Entscheider.