Fantasie und Kreativität produzieren immer noch die schönsten Werke. Manche davon entstehen im kinderzimmer. Aber wie fördert man Fantasie? Und wofür kann man die später gebrauchen?
Kommt der Kasper auch in die Kita?
Interview: Isabella Bigler | Foto: Bernd Hellwage
Die Kinder sind ganz aus dem Häuschen: Eben hat der Wolf auf der Bühne seine „Böse-Augen-Brille“ aufgesetzt und sieht mit den winzigen Pupillen und der zornigen Monobraue auf einmal ganz fies aus. Die Vorschulgruppe der Kita durften ihn vor zehn Minuten wachkrakeelen, ein paar von ihnen sind davon noch so aufgekratzt, dass sie sich gar nicht wieder setzen wollen. Als der Wolf seine Puppenspielerin auf der Bühne mit verschlagener Stimme dazu auffordert, doch mal an ihm zu schnuppern, kringeln die Kinder sich vor Lachen und schreien „iiiiiieehhhhhh“.
Im weiteren Verlauf der Vorstellung gewinnen wir folgende Erkenntnisse: Der Wolf hat absolut keine Manieren. Er ist ein kleines bisschen in Rotkäppchen verknallt. Er ist gar nicht der Stärkste im ganzen Land. Und mit Angeben kommt man nicht weit. Nach der Vorstellung von „Ich bin der Stärkste im ganzen Land!“ treffen wir die Puppenspielerin Andrea Schulz. Seit zwanzig Jahren gibt sie Vorstellungen, hauptberuflich seit 2009. Was für sie das Besondere am Puppenspiel ist und warum es für Kinder nach wie vor ein wertvolles Erlebnis ist, erzählt sie uns im Interview.
Sie haben in Ihrem Leben schon mehr als tausend Vorstellungen gespielt. Was ist für Sie das Besondere am Puppenspiel?
Dass man wirklich alles sagen, zeigen und spielen kann. Eine Puppe ist ja eigentlich unbelebtes Material. Aber das, was man in sie hineingibt, wie man ihren Charakter darstellt, natürlich auch solche Dinge wie die Stimme und die Art, wie sie sich bewegt – das birgt unendlich viele Gestaltungsmöglichkeiten. Und zu einem großen Teil gibt man auch viel von seiner eigenen Person dazu: Die Puppe ist Projektionsfläche und eine Art Stellvertreter für all die Emotionen und Charaktere, die sich zeigen und ausdrücken lassen. Das finde ich faszinierend. Aber es funktioniert nur mit dem Publikum, es ist immer eine Wechselbeziehung.
Ist ein sehr junges Publikum da besonders?
Für mich ist das Puppenspiel für Kinder oft so etwas wie ein „emotionaler Türöffner“ – im besten Sinne. Man kann damit fast alle Kinder erreichen. Diejenigen, die sonst Erwachsenen gegenüber eher schüchtern oder gehemmt sind, können sich einer Puppe leichter öffnen. Sie fühlen sich selbstsicherer, haben weniger Angst, frei zu sprechen oder etwas aufzusagen. Und die besonders quirligen Kinder können plötzlich ganz ruhig und konzentriert werden. Außerdem finde ich beim Figurentheater genial, dass man mit Puppen und Objekten Theater spielen kann, aber dabei nicht unbedingt selbst im Fokus steht. Die Puppe ist die Hauptperson auf der Bühne!
Woher kommen Ihre Puppen?
Einige habe ich selbst gebaut. Im Berliner Ensemble habe ich ein Jahr lang in der Werkstatt mitgearbeitet und ein paar Grundtechniken mitbekommen. Also baue ich meine Puppen so semiprofessionell. Andere Puppen habe ich von Profis bauen lassen. Aber so eine professionelle Puppe hat auch ihren Preis. Daher versuche ich immer, so viel wie möglich selbst oder mit Freunden und Kollegen zu bauen. Und das macht mir, nebenbei gesagt, auch Spaß.
Ist Puppentheater noch angesagt bei Kindern?
Ich habe mich auch manchmal gefragt, ob das ein Beruf mit Zukunft ist. Die Medien haben sich stark verändert und damit auch die Erwartungen der Zuschauer. Die Sehgewohnheiten sind von Fernsehen, Computer, all diesen animierten, schnellen Geschichten geprägt. Alles muss schneller geschnitten sein, um besser konsumiert zu werden. Ich merke manchmal, dass es den Kindern schwerfällt, den Fokus auch auf langsamen Bildern zu halten, bei denen es nicht so viel Action und ständige Szenenwechsel gibt. Aber, und das beruhigt mich: Die Dreiviertelstunde, die ich spiele, halten sie in der Regel gut durch. Und das, obwohl selbst die Erzieher der Dreijährigen manchmal sagen: „Sie können doch keine Dreiviertelstunde spielen …“ – Doch, kann ich! Offensichtlich gibt es da noch etwas anderes, das beim Theater wirkt.
Wie alt sind denn die Kinder, die sich Ihre Inszenierungen anschauen?
Ab drei, aber die meisten sind zwischen vier und acht Jahren alt. Ich habe auch schon vor Viert- und Fünftklässlern gespielt, das hat ebenfalls funktioniert.
Verstehen die Kinder, dass das Puppen sind, oder glauben sie manchmal, die sind lebendig?
Klar verstehen sie das. Nur bei den sehr kleinen Kindern verschwimmt die Grenze manchmal. Aber das ist völlig normal: Als wir noch ganz klein waren, war die Welt für uns ja auch so, dass alles irgendwie lebendig sein konnte. Das Verrückte ist, für Kinder ist das kein Problem: Sie sehen, dass man die Puppe auf der Hand hat, und trotzdem gehen sie davon aus, dass die Puppe irgend-wie ein Eigenleben hat. Sie können das vermischen und trennen – gleichzeitig.
Welche Art von Geschichten spielen Sie?
Wenn ich ein neues Stück suche, dann muss ich erst ein-mal selbst Feuer fangen, selbst das Gefühl haben: Das finde ich jetzt richtig gut. „Ich bin der Stärkste im ganzen Land!“ basiert zum Beispiel auf einer Geschichte von Mario Ramos. In „Ferkel und Eule“ habe ich zwei Bilderbücher zusammengebracht, die ich auf eine schräge Art witzig und toll finde, beide von Amy Krouse Rosenthal. Es ist mir sehr wichtig, dass meine Geschichten ein gutes Gefühl vermitteln. Oder auch Spannung. Ich finde, dass Kinder schon mal die Luft anhalten können, weil es ein Gefühl ist, das sich später auflöst. Aber ich bin auch für Happy Ends. Und da bin ich schon ein bisschen auf dem Schwarz-Weiß-Trip: Das Gute siegt am Ende immer. Es ist doch das Prinzip Hoffnung, das uns Mut macht, das Leben anzugehen.
Worauf kommt es bei einer guten Geschichte noch an?
Sie sollte emotional berühren, die Zuschauer ansprechen und aus ihrer Erfahrungswelt sein. Irgendwas, das sie nachvollziehen und in das sie eintauchen können: Sie vervollständigen ja all das im Kopf, was man auf der Bühne nicht zeigen kann. Wenn Kinder etwas anschauen, dann sehen sie es mit ihrer ganz eigenen Weltsicht und ergänzen Dinge, von denen ich nichts wissen kann. Und wenn das mit der Geschichte zusammenpasst, ist das fantastisch.
Und welche Rolle spielt Humor? Wörter wie zum Beispiel „Pups“ kommen doch bei kleinen Kindern auch super an!
Na klar, aber ich möchte so etwas nicht permanent einwerfen, nur um die Kinder zum Lachen zu bringen. Sie lieben es natürlich, Dinge zu sagen, die man eigentlich nicht sagen soll. Das mag doch jeder. Wörter zu erfinden, das finden sie auch gut. Das ist schön skurril, und Kinder sind noch viel offener für solche Absurditäten und Verrücktheiten.
Was sollen die Kinder denn aus Ihren Vorstellungen mitnehmen?
Also erziehen möchte ich meine kleinen Zuschauer nicht. Aber vielleicht mit meinen Geschichten zum Nachdenken anregen, Werte vermitteln ohne erhobenen Zeigefinger, Mut machen und auch mal provozieren. Mit Puppen funktioniert das auf spielerische Art ganz gut. Und es gibt im Puppentheater ja auch noch eine andere Ebene. Ich habe es anfangs immer als Koketterie empfunden, wenn jemand sagt: „Es hat etwas Magisches.“ Aber da ist was dran: Schon zu Urzeiten wurden Figuren benutzt, um etwas darzustellen, als Kultgegenstände und Projektionsfläche für den Wunsch der Menschen, sich die Welt zu erklären. Offenbar übernehmen sie eine besondere Mittlerfunktion zwischen dem Spieler und den Zuschauern. Bei Kindern spürt man das besonders, weil es ihrer Welt so nahe ist, in der eigentlich alles ein Eigenleben haben könnte.
Können Kinder sich deshalb manchmal mit Puppen besser mitteilen als ohne?
Da sind wir wieder an demselben Punkt wie am Anfang auch bei den Erwachsenen: Puppen können Stellvertreter für Gefühle sein, die lassen sich über diese Mittler manchmal leichter ausdrücken. Bei Kindern ist das auch so, nur viel unbewusster.
Unsere Autorin war für dieses Interview zum allerersten Mal bei einer Puppenvorstellung – früher fand sie Puppen ein bisschen unheimlich, auch ohne „Böse-Augen-Brille“. Und jetzt hat sie Karten für die nächste Vorstellung für Erwachsene im Hamburger Puppentheater auf ihrem Schreibtisch liegen.
Andrea Schulz inszenierte ihr erstes eigenes Figurentheater 1987. Seit 2012 versteckt sie eine ganze Bühne in ihrem Moving-Puppets-Van. Darüber hinaus hat sie Erfahrung mit Mediation und Sprachförderung.
Mehr Infos unter www.moving-puppets.de