Fantasie und Kreativität produzieren immer noch die schönsten Werke. Manche davon entstehen im kinderzimmer. Aber wie fördert man Fantasie? Und wofür kann man die später gebrauchen?
Kunst mit Kindern – Was verstehen sie davon?
Text: Catharina König
„Ich sehe was, was Du nicht siehst. Und das ist …“ – mit diesem bekannten und beliebten Spiel könnte man Kinder zum Betrachten von Kunst einladen. Ohne Druck das Hinschauen fördern. Welche Farben siehst Du? Welche Formen kannst Du erkennen? Siehst Du vielleicht irgendwo ein Tier? Einen Menschen oder vielleicht etwas ganz anderes? Ganz simpel: Was ist auf dem Bild denn eigentlich drauf? Und auch: Ist es geordnet oder wild? Begrifflichkeiten, die helfen, das Gesehene einzuordnen.
Aber warum ist das eigentlich wichtig? Müssen Kleinkinder wirklich schon den Unterschied zwischen Renaissance und Klassizismus oder, einfacher, zwischen Gotik und Pop-Art erkennen? Nein, natürlich nicht. Aber die frühe Begegnung mit Kunst und ästhetischer Bildung schafft eine Verankerung im Gehirn. Es setzt einen Gedächtnispflock. Einen Samen, der später aufkeimen kann, wo die Erinnerung ansetzen kann, unbewusst. Später im Kunstunterricht etwa. Und schafft so die Grundlage für eine einfachere Kunstrezeption in jugendlichen oder erwachsenen Jahren. Kinder erkennen die Werke später wieder, ohne sie benennen zu müssen. Sie erkennen vielleicht Stilmerkmale. Bekommen ein Gespür für ihre Geschichte und Kunst als Kulturgut. Wer schon früh mit Kunst in Berührung kommt, erkennt später nicht mehr nur das Bild, sondern tut sich leichter, das Bild hinter dem Bild zu deuten.
Welche Gefühle vermitteln diese Farben? Oder einfach gefragt: Wofür steht Blau? Was ist Rot? Wo finden wir, auch in der Natur, Grün und Gelb? Warum also könnte da Grün auf dem Bild sein? Und warum ist dieses Pferd blau? Falsche Antworten gibt es da übrigens nicht. Kinder haben einen riesigen Spaß daran, um die Ecke zu denken, und eine gigantische Vorstellungskraft – die man durch vorgefertigte Antworten auf keinen Fall kleinmachen sollte. Erkennt das Kind im „Blauen Pferd“ von Franz Marc ein Pferd, das vielleicht ins Wasser gefallen ist, dann ist das erst mal so. Später kann man vielleicht lernen, dass Blau die Farbe für Männlichkeit ist und der Maler Franz Marc sie darüber hinaus als Farbe des Geistigen für sich definierte.
Indem schon Kindergartenkinder die Werkzeuge ästhetischer Bildung gereicht bekommen, erfahren sie die Welt durch kreative und schöpferische Prozesse. Das Betrachten von Kunst und Bildern regt die Fantasie an. Es lässt Geschichten im Kopf entstehen, aber auch Geschichte verstehen. Wir wissen dank Leonardo da Vinci, Rembrandt und Caspar David Friedrich, wie die Menschen vor Hunderten von Jahren angezogen waren. Wie sie gelebt haben, was sie geliebt und gedacht haben. Sogar, wie ihr Seelenleben aussah, verraten uns ihre Werke. Kinder bringen die besten Voraussetzungen mit, um Kunst zu betrachten: Sie lieben Farben und Formen. Bei der Betrachtung eines Bildes oder einer Skulptur wird nicht nur die Fantasie angeregt, durch das Finden von Begriffen, um ein Bild zu beschreiben, werden auch Sprachkompetenzen gebildet.
Joseph Beuys sah in der Kunst sogar eine Nährsubstanz: „In 2.000 Jahren hat der Mensch ohne Kunsterziehung kein Gehirn mehr.“ Er war davon überzeugt, dass sogar Physiker besser rational denken könnten, wenn sie sich mit Kunst „ernährt“ hätten.
Ästhetische Erfahrungen, wie das Betrachten von Kunstwerken, sind die Grundlage für den Aufbau kognitiver Strukturen. Die Beschäftigung mit Kunst und Kultur ist nicht nur wertvoll für den, der sie erschafft, sondern auch für den, der sie sich anschaut. In Studien wurde nachgewiesen, dass Kinder, die kulturelle Bildung erfahren, in vielen Schlüsselkompetenzen deutlich besser abschneiden als Kinder, denen der Zugang dazu verwehrt blieb. So verfügen Kinder, die schon früh mit Kunst in Berührung kommen, oftmals über mehr Ausdauer, sind toleranter und können sich besser ausdrücken. Das kreative Denken wird gefördert, ebenso wie die Fähigkeit, querzudenken. Komplexe, räumliche Aufgaben und abstrakte Ideen werden leichter gelöst.
Wie zum Beispiel ist ein Bild von Jackson Pollock aus seiner Phase des Action Painting wohl entstanden? Wie hat er das gemacht? Hat der Pinsel überhaupt die Leinwandberührt? Antworten auf diese Fragen lassen einen erweiterten Horizont zu und zeigen Kindern, dass es nicht immer Tusche, Pinsel, Papier sein müssen. Dass Kunst nicht etwas sein muss, aus dem ich Figuren oder Formen erkenne. Könnte der Maler womöglich währenddessen getanzt haben? Hat er vielleicht Stöcke, Hölzer und Metall benutzt? All diese Überlegungen fördern das kreative Denken und bieten Kindern so die Chance, auch für andere Lebenssituationen neue Wege zu finden, vielleicht auch mal abseits der Norm zu denken und zu handeln. Fähigkeiten, die nicht nur in der Schule, sondern auch später im Berufsleben gefragt sind.
Hat der Maler etwa getanzt, als das Bild entstanden ist?
Wenn Kinder zunächst nur kleinere Details in einem Bild entdecken und benennen, heißt das nicht, dass sie das Hauptmotiv nicht erkennen. Es zeigt nur, dass sich das Kind dem Werk anders nähert als man selbst, der Erwachsene. Bitten Sie ein Kind mal, einem Bild einen Begriff zuzuordnen oder einen Titel zu geben – das kann auch eine Postkarte, ein Foto oder Ähnliches sein, es muss kein Kunstwerk sein. Sie werden erstaunt sein, wie kreativ die Vorschläge ausfallen. Wichtig auch hier: nicht korrigieren, nicht reinreden. Erst mal ist alles richtig!
Und, was sieht das Kind? Was bedeutet das Gesehene? Das ist gar nicht wichtig. Dreijährige müssen Kunst noch nicht verstehen – es reicht, wenn sie Spaß am Betrachten haben. Denn nicht jeder wird dadurch zum Kunstschaffenden oder Kunsthistoriker. Um es mit Beuys zu sagen: Man kann damit auch Physiker werden.
Unsere Autorin kann immerhin einen Kunst-Leistungskurs vorweisen. Für diesen Text hat sie aber noch einmal tief in Bücher geschaut und ihre Sympathie für den Expressionismus wiederentdeckt. Ihre vierjährige Tochter will sie demnächst auch ins Museum schleppen.